Gernot Dürr lächelt spitzbübisch, als er sich an den Moment erinnert, wo ihm Kunstexperten und Handwerker gebannt zuschauten. „In zehn Minuten hatten wir alles abgebaut. Aber die Umherstehenden haben wirklich die Luft angehalten, ob das gut geht.“ Dürr ist mit ins Boot geholt worden, um die Astronomische Uhr des Münsterschen Doms – eine der letzten und wertvollsten ihre Art – herrichten zu können. Zum Katholikentag 2018 soll das Objekt wieder in seinen ursprünglichen Farben erstrahlen. In Dürrs Werkstatt in Rothenburg ob der Tauber liegt nun sorgfältig verpackt ein Zeiger der Astronomischen Uhr auf dem Schreibtisch; alle anderen Teile werden ortsnah im Münsterland restauriert, nur dieses Zeigers nimmt sich der Experte persönlich an. „Das machen wir auch nicht alle Tage“, freut sich der hochgewachsene Mann mit Brille und schütterem Haar.
Eine ablesbare Ordnung
Dabei ist das Handwerk des Großuhrenmachers wohl eines, das wie kaum ein anderes das Leben unserer Vorfahren veränderte. Denn mit der Uhr war Zeit nicht länger nur ein persönliches Empfinden, je nach dem Hahnenschrei oder dem Stand der Sonne, stellte sie vielmehr für jedermann eine ablesbare Ordnung dar. Regelmäßige Glockenschläge waren weithin zu hören – sogar für die Bauern auf dem Feld. Vor allem aus den Erzählungen seines Vaters weiß Gernot Dürr um den Aufwand, der betrieben werden musste, um die ursprünglichen mechanischen Turmuhren am Laufen zu halten. Jeden Tag wurde Uhr für Uhr überprüft und aufgezogen, die Uhrzeit orientierte sich an der Bahnhofsuhr und per Taschenuhr wurde die Uhrzeit von dort übertragen – und es habe kaum ein Uhrwerk in der Gegend gegeben, dass sein Vater nicht gekannt habe, plaudert der Juniorchef schmunzelnd. So radelte Robert Dürr in den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts noch täglich viele Türme seiner Heimatstadt ab, um per Hand die schweren Gewichte hochzuziehen, damit die Uhren weiterliefen und die korrekte Zeit wiedergaben. Er stellte die Uhren, wartete sie und passte sie in den kommenden Jahrzehnten immer neu der technischen Weiterentwicklung an. Dabei musste der Großuhrmacher viele Handwerke in sich vereinen, um seine Arbeit gut zu machen: drechseln, schmieden, fräsen, vergolden, malern – Seniorchef Robert Dürr hatte viele Talente, wenn es darum ging, alte Großuhren zum Ticken zu bewegen. Mit Fleiß und Ehrgeiz brachte er so die einstige Firma Holzöder wieder in Umlauf und belebte das Handwerk seines alten Meisters erneut. Denn der Gründer hatte keinen Nachkommen und so trat Robert Dürr in seine Fußstapfen.
Die Geschichte der Uhren
Noch heute, trotz Handy und Funkuhren, bestimmen an vielen Gebäuden wie Stadttürmen, Rathäusern oder Kirchen und Schlössern prächtige Ziffernblätter das Bild. Wann genau die ersten Turm- oder Räderuhren eingebaut wurden und wer und wann diese erfunden wurden, ist bisher nicht schlüssig bekannt, erklärt Gernot Dürr. „Mechanische Räderuhren mit Gewichtsaufzug und Hemmung sind seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert bekannt. Die Einteilung des Tages in Gebetszeiten war vor allem in Klöstern wichtig, sodass von dort auch eine Entwicklung von Turmuhren bekannt ist.“ Die ersten Räderuhren mit Spindelhemmung und Waagbalken liefen ungenau und mussten immer mit einer Sonnenuhr reguliert werden. Der Anbau eines Schlagwerkes, das ab dem 14. Jahrhundert bekannt ist, war ein weiterer Schritt. Über ein zusätzliches Werk und Hebel schlug das zu jeder vollen Stunde die Glocke. Und ab dem 14. Jahrhundert fanden in den größeren Zentren und Kathedralen astronomische Uhren – wie die in Münster – Einzug. Die Genauigkeit von Räderuhren trieb schließlich die Erfindung des Pendels 1657 an. Die Ganggenauigkeit der mechanischen Uhren schritt mit den Jahrzehnten und Jahrhunderten immer weiter voran, Stundenzeiger am Ziffernblatt wurden angebracht, andere Einteilungen folgten und Zeit wurde zu einer messbaren Größe. Der große Wandel kam in den 60er und 70er Jahren, als ein Großteil dieser Uhren stillgelegt und verschrottet wurde. Die Elektronik hielt immer häufiger Einzug. In neuerer Zeit kam nun schließlich die Kehrtwende, dass mechanische Uhren – sofern noch vorhanden – wiederhergerichtet und zum Laufen gebracht wurden. Vor allem als Kulturgut, das es zu bewahren gilt, schildert Dürr. Nicht selten auch seine Aufgabe. Dürr freut sich darüber: „Die Landesdenkmalämter möchten mechanische Turmuhrwerke als wichtige technische Denkmäler erhalten. Dazu muss man technische Lösungen anbieten, die bei historischen Turmuhren nachgerüstet, die Substanz schonen und erhalten.“ Gernot Dürr hat eine Lösung, die so aussieht: Ein elektronischer Gangregulator beeinflusst das Pendel eines mechanischen Uhrwerkes in der Form, dass sein Gang sekundengenau der DCF77-Zeit (Funkuhrzeit) entspricht. Der manuelle Aufwand für die sonst notwendigerweise erforderliche Zeigerkorrektur fällt weg. Und ist die Turmuhr gleichzeitig mit einem elektrischen Gewichtsaufzug versehen, wird der Betreuungsaufwand nur noch zu den Zeitumstellungen zweimal pro Jahr, eventuell mit einer Wartung am Uhrwerk, nötig sein.
Umstellung macht Arbeit
Die Umstellung der Uhr auf Sommer- beziehungsweise Winterzeit sieht Gernot Dürr als überholt an. Mehr noch: die dadurch verursachten Probleme und Systemausfälle sorgen bei ihm und seinen Mitarbeitern in den Tagen nach der Umstellung der Uhren für Arbeit. Nicht selten muss er Systeme neu hochfahren, weil die Umstellung die Technik durcheinander gebracht hat. Stellt er die Uhren auf Sommerzeit um, werden die Informationen via Satellit an die Kirchturmuhren weitergegeben; die stellen sich dann vollautomatisch um eine Stunde vor oder im Herbst zurück. Im Falle der Umstellung auf die Sommerzeit bewegt sich der Minutenzeiger mit schnelleren Impulsen nach vorne und kommt erst zum Stillstand, wenn er um kurz nach drei Uhr die tatsächliche Zeit wieder eingeholt hat. „Zeit ist Physik, Mathematik, das ist schwer zu erklären“, – trotzdem hat sie seit jeher für Gernot Dürr ihren Reiz. Und so ist er immer ein wenig umtriebig, wenn es darum geht neue Lösungen zu finden und Ideen zu entwickeln. Beispielsweise treibt ihn unter anderem die Frage um, wie man mittels Softwareprogrammen nicht nur Uhren, sondern auch Glocken und Heizungen in Kirchen steuern kann. Konzepte diverser Firmen gebe es bereits, man müsse stufenweise eine zentrale Steuerung aufbauen. Die meisten Großuhren laufen elektronisch, ferngesteuert über Elektromotoren werden die Zeiger angetrieben und das Glockenläuten in Gang gesetzt.
Dankbar für die Vorarbeit des Vaters
Mehr und mehr wurden in den zurückliegenden Jahrzehnten auch Glockenanlagen technisiert, sogenannte Läutmaschinen haben in den Gemeinden Einzug gehalten. Mit deren Wartung und Reparatur hat sich einst Robert Dürr schon einen Namen gemacht. Dafür ist ihm sein Sohn heute sehr dankbar. Gernot Dürr sieht die Zukunft seines Handwerks darin, sich mit anderen zu vernetzen, zusammenzuschließen, die jeweiligen Talente in Zusammenarbeit einzubringen. Gewerke, die sich untereinander austauschen, vom deutschen Softwareentwickler bis hin zum Schweizer Glockengießer. Dürr hat viele Kontakte und schon so manchen ins Boot geholt. Denn für ihn gilt es, einerseits das Alte zu bewahren, aber andererseits technisch und gesellschaftlich mit der Zeit zu gehen – denn eine Turmuhr per Hand aufzuziehen, hält er nicht mehr für Zeitgemäß. „Den Job macht heute niemand mehr freiwillig. So viele Ehrenämtler gibt es nicht mehr.“
Judith Bornemann