Die Gegensätze könnten kaum größer sein. Während hier Christus mit weit geöffneten Armen in den Himmel auffährt und die Soldaten, die das Grab bewachen sollen, entsetzt zu Boden stürzen, ist dort nur ein tief dunkelblaues Farbfeld mit zwei schmalen, vertikalen Streifen in Weiß und Hellblau zu sehen. Doch versuchen beide Maler, Veronese wie Barnett Newman, das Göttliche abzubilden – hier durch eine Auferstehungsdarstellung, dort durch das erhabene und sublime „Mitternachtsblau“, das den Blick in eine fremde, rätselhafte Sphäre öffnet.
Die Ausstellung „Ansichten Christi“, die anlässlich des Weltjugendtages im Kölner Wallraf-Richartz-Museum das Christusbild von der Antike bis ins 20. Jahrhundert verfolgt, lebt von solch spannenden Gegenüberstellungen. Die Schau verwickelt die Kunstwerke in ungewohnte Dialoge. Sie bebildert keine chronologische Abfolge, sondern bündelt die Werke in Themenkabinetten, die „Der Auferstandene“ oder „Passion und Emotion“ überschrieben sind. Die in Kooperation mit dem Vatikan und dem Erzbistum Köln konzipierte Ausstellung versammelt 90 Meisterwerke, darunter zahlreiche, nur selten ausgeliehene Schlüsselwerke.
„Christus ist das Thema der Kunstgeschichte schlechthin“, erklärt Kurator Dr. Roland Krischel. Selbst im Oeuvre von Andy Warhol, dessen tiefe Verbundenheit mit der Kirche wenig bekannt ist, taucht es auf. Von dem Pop-Artisten ist ein kleines Bild zu sehen, das zwölf blaue Kreuze vor schwarzem Hintergrund zeigt. Auch ein Werk Yves Kleins würde man wohl kaum in dieser Ausstellung vermuten. Der Maler der Monochromie wird mit einer Tafel aus 180 Blattgoldstücken präsentiert. Gold, in der Malerei des Mittelalters Symbol für das Mysterium Gottes, steht hier für das Jenseitige. Hinter dem Gold schimmert ein Blauton hervor.
Im Themenkabinett „Bilder vom Nicht-Darstellbaren“ tritt Kleins Arbeit in den Dialog mit einem halbierten Filzkreuz von Joseph Beuys und Grabplatten aus dem Rom des 4. Jahrhunderts, auf denen symbolische Motive wie der gute Hirt oder der Fisch abgebildet sind. Der christliche Glaube wurde nach dem Edikt von Mailand (313 nach Christus) zwar toleriert, doch blie-ben figürliche Darstellungen Christi noch lange die Ausnahme. Man sollte sich eben kein Bildnis machen.
Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sich die Künstler diesem Thema widmen würden und die in den Überlieferungen (das Neue Testament schweigt sich ja aus) beschriebene Schönheit des Jünglings Jesus abzubilden versuchten. Seitdem gibt es zwei Strömungen in der Christusdarstellung. Zum einen wurde Christus als Leidender, zum anderen als Triumphator gesehen. Mit der Moderne erfuhren diese Traditionen weitere, vor allem subjektive und individualistische Erweiterungen.
Der leidende Christus wird in einer Federzeichnung aus dem frühen 14. Jahrhundert in blutrote Tinte getaucht, während Fra Angelico ihn frontal mit Dornenkrone zeigt. Auch der „Schmerzensmann“ von Lukas Cranach d. Ä. blickt den Betrachter an und ruft eine ausgeprägte emotionale Wirkung hervor, während der von klagenden Engeln Gehaltene bei Marco Zoppo kaum Spuren des Leidens aufweist. Er wird gleichsam heroisiert. Christus als Triumphator setzen El Greco und Rubens ins Bild. Hier erscheint der Auferstandene dynamisch und mit machtvoller Präsenz. In dem Guercino zugeschriebenen Bild „Der ungläubige Thomas“ tritt Christus als über alle Zweifel erhabene Lichtgestalt auf.
Die Aneignung durch Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts zeigt einen freieren Umgang mit der Thematik. So lässt Jakob Edward von Steinle Christus zu einer Nachtreise mit den Jüngern aufbrechen, die in der biblischen Geschichte nicht belegt ist. Jean Béraud schickt den erstaunten Gottessohn in einen Pariser Salon. Und Rodin, selbst der mächtige Schöpfer, integriert in die „Hand Gottes“, die er einem seiner „Bürger von Calais“ entlehnt hat, Adam und Eva.
Auf die traditionelle Ikonografie wie etwa die Dornenkrone hat Lovis Corinth in seiner Kreuzigungsszene verzichtet. Ähnlich ging Max Beckmann vor, der aus seiner „Kreuzabnahme“ das religiöse Pathos verbannte und somit eine allgemeine Metapher für Leid und Grausamkeit geschaffen hat. Beckmann zeigt den säkularisierten Christus. Die „Kreuzigung“ von Picasso vermischt die christliche Passion in ei-nem surrealistischen Tohuwabohu von Formen und Farben mit einem Stierkampf-Motiv. Bei Gauguin wird der Gekreuzigte dagegen von einer exotischen Symbolwelt umgeben.
Von den Urbildern des Antlitzes Christi, dem Grabtuch, das in einer Kopie aus dem 17. Jahrhundert zu sehen ist, und den der Überlieferung nach nicht von Menschenhand gemalten Bildern wie den Ikonen, deren idealisierende Darstellungen der Anbetung dienten, spannt sich ein Bogen zu Jawlenskys skizziertem „Heilandsgesicht“ und Georges Rouaults „Heiligem Antlitz“, dessen schlichte Intensität des Ausdrucks darauf verweist, dass der Maler aus mittelalterlichen Traditionen geschöpft hat.
Dem Ausdruckswillen und der Religiösität der Künstler ist es zu verdanken, dass die Christusdarstellung immer wieder zu neuen Deutungsmustern geführt hat. Von Leonardo da Vincis Figurenstudie und einer Miniaturkopie von Michelangelos „Jüngstem Gericht“ über Berninis schwelgerische Heiland-Büste bis zu einer Arbeit Claude Mellans, der das Antlitz des Einzigen aus einer einzigen Linie gezeichnet hat, ob abstrakt oder naturalistisch, ob erzählerisch oder rätselhaft, – die Werke dieser Ausstellung bündeln Glaubenserfahrung und können als Sehhilfe für eine spirituelle Spurensuche dienen. Dass wegen der Darstellung Christi Kriege entbrennen, wie einst in Byzanz, ist nicht mehr zu befürchten.
Wann und wo?
Die Ausstellung „Ansichten Christi. Das Christusbild von der Antike bis zur Gegenwart“ ist noch bis zum 2. Oktober im Kölner Wallraf-Richartz-Museum, Martinstraße 39, 50667 Köln, zu sehen. Telefon 0221/
9923-750, Internet „www.museenkoeln.de“; Öffnungszeiten: Dienstags 10 bis 20 Uhr, Mittwoch bis Freitag 10 bis 18 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 18 Uhr.