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    Kirche und Zukunft – Michael N. Ebertz im Gespräch

    Chancen und Perspektiven

    Kirche und Zukunft – Michael N. Ebertz im Gespräch
    Wohin geht es mit Kirche und Seelsorge? Die Pastoralkonferenz Aschaffenburg hatte zu diesem Thema den Soziologen und Theologen Michael N. Ebertz, Professor an der Katholischen Fachhochschule Freiburg eingeladen. Dessen religionssoziologisches Forschungsinteresse konzentriert sich vor allem auf institutionelle Wandlungsprozesse der Kirchen. Das Sonntagsblatt unterhielt sich mit dem Experten zum Thema „Chancen und Perspektiven einer Pastoral der Zukunft“.
     
    Können Sie aus der Sicht des Soziologen skizzieren, wie sich Kirche verändert ?
    Eine der Hauptveränderungen liegt darin, dass sich immer weniger Menschen den kirchlichen Spielregeln unterwerfen, also etwa sonntags in die Kirche oder regelmäßig zur Beichte zu gehen. Die Menschen bestimmen sehr stark selbst ihr Kirchverhältnis. Die Leute werten aus, was ihnen nutzt und frommt.
     
    Wie kam es zu dieser Veränderung?
    Die Menschen wählen aus, weil sie auswählen müssen. Sie stehen zum Beispiel vor der Frage: Was soll ich am Sonntag Vormittag machen? Ausschlafen, zum Sportverein gehen, in die Kirche? Das sind Handlungsalternativen, die Menschen heute haben. Früher hatten sie diese nicht. Da waren sie gezwungen in die Kirche zu gehen, denn sonst wurden sie aus der Nachbarschaft ausgeschlossen. Die soziale Kontrolle war viel größer. Heute gibt es diese Zwänge nicht mehr, also müssen sie wählen.
     
    Was hat das für Konsequenzen für die Pastoral?
    Die Berechenbarkeit sinkt. Man wird die Beobachtung machen, dass die Menschen durchaus zur Kirche kommen, aber nur dann, wenn sie es wollen. Wenn es um ganz bestimmte Themen, Sorgen, existenzielle Fragen geht, da hat Kirche noch Zulauf. Wenn es um die Unterbrechungen des Lebens geht, wenn Kirche für Erfahrungen wie Abschied, Tod oder Trauer qualitativ gute Angebote macht, wird sie die Menschen erreichen. Kirche muss angebotsorientierter werden.
     
    Sehen Sie in diesen Entwicklungen eine Chance für die Kirche?
    Kirche hat eine Chance, wenn sie ihre Überlieferung, ihre frohe Botschaft mit den Themen der Menschen in eine spannungsvolle Beziehung bringt. Es geht darum, eine Haltung anzunehmen, die der verstorbene Aachener Bischof Klaus Hemmerle einmal so beschrieben hat: Lasse mich dich lernen, dein Denken und Sprechen, dein Fragen und Dasein, damit ich – Kirche – daran die Botschaft neu lernen kann, die ich dir zu überliefern habe. Es geht um eine Neusichtung der frohen Botschaft aus der Perspektive der Menschen.
     
    Die Diözesen sind momentan angehalten zum „Erneuern und Sparen“. Wo müssten dabei aus Ihrer Sicht Schwerpunkte gesetzt werden?
    Das ist schwer so zu sagen. Aber eine meiner Feststellungen ist, dass in der Kirche sehr viel Gutes gemacht wird, aber nebeneinander, ohne dass der eine weiß, was der andere tut. Die Produktivität des Ganzen ist dann relativ gering, weil es nicht vernetzt ist, nicht arbeitsteilig geschieht. Allein durch die Informierung der Haupt- und Ehrenamtlichen in der Kirche könnte sehr viel Geld eingespart werden. In einer Situation der Knappheit muss man Rationalität praktizieren.
     
    Muss sich Kirche auch von dem Anspruch verabschieden, alle Menschen erreichen zu wollen?
    Ich glaube nicht, dass die Entwicklung so geht, wie man es lange Zeit gesagt hat: von der Volkskirche zur Gemeindekirche, zur Entscheidungskirche. Ich glaube, wir haben eine Bewegung von der Volkskirche I zur Volkskirche II, zu einer neuartigen Form der Volkskirche. Die Kirche muss von der Vorstellung Abschied nehmen, dass sich das Kirchenvolk mit dem Staatsvolk weitgehend deckt. Das war ein wesentliches Merkmal der früheren Volkskirche. Aber an dem Volkskirchenmodell gilt es festzuhalten, es ist nämlich ein niederschwelliges Angebot für alle. Es geht darum, jetzt noch nicht die Spreu vom Weizen zu trennen, dass ist die Aufgabe eines anderen am Jüngsten Tag. Kirche darf sich nicht zu einer engstirnigen totalitären Sekte entwickelt, die jeden „rauswirft“, der nicht permanent den religiösen Standards entspricht.
    Diese neue Volkskirche II müsste auch neue Formen der Präsenz von Kirche im sozialen Nahraum der Menschen suchen und die bisherigen Angebote der Kirchengemeinden stärker miteinander vernetzen. Viele Pfarrgemeinden sind heute sowieso schon faktisch „Wahlgemeinden“ geworden: man fährt dahin, wo man eine gute Predigt vermutet. Das nicht nur zu dulden, sondern zu fördern, würde der Differenziertheit der Menschen von heute stärker entsprechen. Die Vorstellung, alle die, die in einem bestimmten Raum wohnen, müssten sich zur gleichen Zeit um den Altar versammeln, ist eine romantische Vorstellung, die mit der Realität nichts zu tun hat.
     
    Halten Sie den Trend hin zur kategorialen Seelsorge, wie sie zum Beispiel durch die Aufwertung der Familienseelsorger auf halbe Stellen geschieht, für richtig?
    Ja, es kann nicht mehr so sein, dass heute ein Seelsorger oder eine Seelsorgerin „allen alles wird“. Das schaffen sie nicht, dass ist eine Überforderung. Deswegen findet immer schon eine Auswahl der Hauptamtlichen statt, was sie in der Pastoral letztendlich tun, es findet aber auch eine Auswahl durch die Kirchenmitglieder statt, die sich das suchen, was ihnen gut tut. Die Menschen sind heute so vielfältig geworden, dass es sinnvoll ist, dass Seelsorger sich auch stärker spezialisieren. Ich kann nicht eine gute Altenseelsorge machen und zugleich eine gute Jugend-, Kinder- oder Erwachsenenarbeit. Das sind außerordentlich komplizierte Lebenslagen geworden mit unterschiedlichen Themen, Fragen und Sorgen, so dass man sich da schon sehr genau auf eine Lebenslage hin einstellen sollte und dafür qualifizieren muss.