Studentische Beraterinnen und Berater verfügen zwar nicht über langjährige Erfahrungen, haben Profiberatern jedoch etwas Wichtiges voraus: Sie kennen die Situation ihrer Klienten ganz genau. Sie wissen zum Beispiel, wie das ist, in einer WG zu wohnen. Sie erleben selbst, was das mit einem macht, wenn man nicht mehr an die Uni gehen kann, weil alle Präsenzveranstaltungen gecancelt sind. Genau das schätzen jene, die sich an das Team wenden. Das sind in erster Linie Studentinnen und Studenten. „Wir beraten aber auch Referendare und Auszubildende“, berichtet Nina Rieckmann, die sich, ebenso wie Jessica Ball, seit einem Jahr im Beratungsteam engagiert.
Komplexes Gebiet
Wie geht man damit um, wenn einer aus der WG wenig Neigung zeigt, die Corona-Regeln einzuhalten? Kürzlich erst schlug dieses Thema im Team auf. „Da geht es zum Beispiel um die Frage, ob denn der Partner oder die Partnerin kommen darf“, schildert Jessica Ball. Gehen die Meinungen sehr weit auseinander, kann das für ganz gewaltigen Zoff sorgen. Und zwar selbst in Wohngemeinschaften, in denen bisher die schönste Harmonie geherrscht hat. Überhaupt kann es schwierig sein, die anderen den ganzen Tag um sich zu ertragen. So war das bisher ja nie gewesen. Man war tagsüber an der Uni. Und freute sich abends auf die Mitbewohner. Plötzlich kann man sich kaum aus dem Weg gehen.
Lebensberatung ist ein sehr komplexes Gebiet. Jede Anfrage ist anders. Jede unterschiedlich intensiv. Jede unterschiedlich tragisch. Nina Rieckmann begleitet seit Beginn der Pandemie eine Studentin, die eine äußerst schwierige Zeit hinter sich hat. Ihr Freund lebte in Südamerika. Mehrmals versuchte sie, zu ihm zu fliegen: „Doch immer wieder wurden die Flüge storniert.“ Ein halbes Jahr lang konnten sich die beiden nicht treffen. Die Frage: „Wann werden wir uns endlich mal wieder sehen?“, machte die junge Frau fertig. Nachdem kein Ende der Pandemie abzusehen war, entschlossen sich die beiden zu einem sehr mutigen Schritt: „Sie zogen gemeinsam nach Spanien.“
Endlich zusammen sein
Das war für die Beziehung gut, dennoch ist längst noch nicht alles okay für die zwei. Jetzt sind sie zwar vereint, so Rieckmann: „Doch mit der Konsequenz, dass sie ihre Familien an Weihnachten nicht sehen konnten.“ Nach wie vor ist die 25-Jährige mit ihrer Klientin in Kontakt. Moderne Technik macht das möglich. Wobei sich Nina Rieckmann entschieden hat, weiterhin, wenn auch mit großem räumlichen Abstand, auch persönlich zu beraten: „Das ist von der Atmosphäre her einfach noch mal was anderes als Online-Beratung.“ Jeder aus dem Team kann das so handhaben, wie es für ihn oder sie am besten passt. Jessica Ball zum Beispiel berät wegen der hohen Corona-Fallzahlen derzeit nicht live.
Von der angehenden Juristin über den Mediziner in spe bis hin zum Informatikstudenten, der sich erst in diesem Semester an der Uni eingeschrieben hat, nehmen Studierende jeder Fachrichtung und jeden Alters das kostenlose Beratungsangebot der KHG wahr. „Letztes Jahr hatten wir insgesamt 47 Klientinnen und Klienten“, berichtet Jessica Ball. Das bedeutet eine Steigerung von fast 30 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019, in dem 37 junge Menschen beraten und begleitet wurden. Die allermeisten kommen öfter zum Gespräch. Nicht selten einmal in der Woche. Und das über ein ganzes Jahr hinweg.
Die Beraterinnen und Berater haben auf Fragen nicht immer eine Antwort parat. Und das müssen sie auch nicht. „Jeder ist Experte und Expertin in eigener Sache“, sagt Pädagogikstudentin Nina Rieckmann. Die Kunst der Beraterin besteht darin, dieses oft verdeckte Expertenwissen aus dem Klienten herauszukitzeln und ihn dazu zu bringen, das, was zumindest ein Baustein auf dem Weg zur Lösung sein könnte, auszusprechen. Im Team erörtern die Studierenden an jedem Montag mit Akademikerseelsorger Michael Ottl von der KHG bei derzeit virtuellen Treffen, was sie in der Beratung erlebt haben. Auch werden bei diesen Meetings neue Anfragen vergeben.
Ständiges Auf und Ab
Wie Menschen mit Belastungen umgehen, ist individuell ganz verschieden. Mehr noch, sagt Rieckmann: „Die meisten Menschen gehen von Tag zu Tag oder von Woche zu Woche anders mit einer Belastung um.“ In einer Woche geht es ganz gut. In der nächsten Woche hingegen bekommt die gebürtige Aschaffenburgerin zum Beispiel zu hören: „Es langt jetzt echt mit der Pandemie, ich halte es einfach nicht mehr aus!“ Diese Schwankungen sind zum Teil durch die körperliche Verfassung bedingt, beobachtet die Studentin. Wobei sich die pandemiebedingte Lähmung des öffentlichen Lebens auf das Gros der Studierenden negativ auswirkt: „Viele fühlen sich gerade müde und schlapp.“
Zum Glück ist trotz Pandemie nicht jede Quelle der Freude versiegt. Auch darauf hinzuweisen, ist wichtig in einer Zeit, in der an manchen Tagen alles grau in grau erscheint. Für Jessica Ball ist die Natur eine Freude- und Kraftquelle. Sinn und Freude gibt der Psychologie-Masterstudentin aber nicht zuletzt die Arbeit im Psychologischen Beratungsteam. Michael Ottl ist für sie zu einem „sehr wertvollen Menschen“ geworden, von dem sie im Laufe des vergangenen Jahres eine Menge lernen konnte. „Im Team selbst habe ich neue Freunde gefunden“, so die 27-Jährige.
Ihr Ehrenamt ist für Jessica Ball zu einer Herzenssache geworden – von der sie persönlich ungemein profitiert. „Sonst lebt man als Psychologiestudentin oft in einer Art ‚Psychoblase‘“, sagt sie. Im Beratungsteam lernt sie Studierende der Pädagogik und Medizin, Lehrämtler und Sonderpädagogen kennen. Jeder hat aufgrund seiner Fachrichtung einen anderen Ansatz, an Probleme heranzugehen. Jeder speist andere Erfahrungen ein. Das war für Ball bisher sehr bereichernd gewesen: „Mein eigenes Weltbild hat sich dadurch verändert.“
Wo das Team an Grenzen stößt
Auftrieb gibt natürlich auch, auf wie gute Resonanz das Angebot stößt: Die Psychologische Beratung von Studis für Studis wird weithin geschätzt. Wobei das Team auch weiß, wann es an seine Grenze kommt, betont Supervisor Michael Ottl. Befindet sich ein Student in einer wirklich schweren Krise, leidet er an einer ausgeprägten Form von Persönlichkeitsstörung, an einer manifesten Depression oder liegt gar Suizidalität vor, braucht es professionelle Hilfe. Darauf wird in einem solchen Fall auch verwiesen. „Wir beraten dann allenfalls zur Überbrückung, also bis ein Therapieplatz frei ist“, so der Theologe.
Für viele Studierende ist die Pandemie im höchsten Grade belastend, bekommt auch Ottl als Referent der KHG mit. „Das Studium ist normalerweise die Lebensphase, wo man Neues in Angriff nimmt, wo man sich in der Begegnung mit anderen prüft und seine eigene Identität findet“, erläutert der Akademikerseelsorger. Nicht jedes Studium wurde ja zum Beispiel aus vollster Überzeugung aufgenommen. Teilweise bestehen große Zweifel: Passt das wirklich zu mir, was ich studiere? In der Auseinandersetzung mit anderen, mit Kommilitonen und mit Dozenten, klären sich solche Fragen. Doch diese Impulse fallen gerade weitgehend weg.
Viele haben die stille Hoffnung, dass der ganze Spuk bald vorbei sein wird. Schließlich gibt es inzwischen einen Impfstoff. Doch die aktuellen Zahlen sprechen nicht für ein baldiges Ende der Pandemie. Je länger der „Spuk“ dauert, umso mehr Menschen brauchen psychosoziale Unterstützung. Denn die Einsamkeit wächst. „Wo soll man denn gerade auch Leute kennenlernen?“, fragt Nina Rieckmann. Nicht zuletzt mit diesem Problem hat es die Beraterin derzeit sehr häufig zu tun. Manche Studierenden versuchen es in dieser Situation mit Dating-Apps. Wobei auch hier die Unsicherheit groß ist. „Wie erkennt man, dass eine App gut ist?“, hört Rieckmann in der Beratung öfter.
Pat Christ
Info
Seit vielen Jahren beraten Studierende in der KHG Altersgenossen bei allen Fragen rund ums Studium oder das Studierendenleben. Das studentische Beratungsteam der KHG kann entweder per Mail unter „beratungsteam@khg-wuerzburg.de“ oder telefonisch unter 0931/3545323 kontaktiert werden.