Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Probeabo des Magazins bestellen

Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt erfahren Sie im Sonntagblatt.

    Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt...

    Mehr
    Polizeiseelsorger Matthias Zöller treibt die Aggressivität gegen Polizeibeamte um

    Bespuckt, bedroht, beleidigt

    Dass es einst in der Schule Prügel mit dem Rohrstock gab, ist für heutige Kinder unvorstellbar: Sie erleben Schule als einen Ort, an dem sie gewaltfrei lernen dürfen. „Auch Kapitalverbrechen gibt es heute viel seltener als früher“, sagt Matthias Zöller. Das sind die positiven Fakten, wenn es um das Thema „Gewalt in unserer Gesellschaft“ geht. Doch es gibt laut dem Würzburger Polizeiseelsorger auch eine andere Seite: „Polizisten werden immer häufiger beleidigt, bespuckt und angegriffen.“

    Die Kriminalstatistik bestätigt, dass die Quote der Polizeibeamten, die im Dienst Gewalt erleben, von Jahr zu Jahr steigt. 2019 wurden unter der Rubrik „Widerstand gegen und tätliche Angriffe auf die Staatsgewalt“ bundesweit knapp 37000 Straftaten registriert. Das waren über acht Prozent mehr als im Jahr davor. „Kam früher jemand von uns in Uniform an, war Ruhe im Kasten, das ist längst nicht mehr so“, sagte ihm neulich ein Beamter. Ein anderer äußerte: „Heute würde ich nicht mehr auf Streife gehen.“

    Matthias Zöller ist soeben dabei, ein neues Seminar zu entwickeln, das Streifenbeamten helfen soll, besser mit dem, was sie erleben, fertig zu werden. „Polizisten brauchen dringend Reflexionsorte“, sagt er. Als Polizeiseelsorger bietet Zöller zwar auch Einzelgespräche an. Doch das kann er nicht in allzu großem Umfang tun, zu vielfältig sind seine Aufgaben. „Gerade komme ich von einer Einsatznachbesprechung, wo es um Schusswaffengebrauch ging“, erzählt er. Zu solchen „sehr wichtigen Besprechungen” wird er erfreulicherweise immer häufiger gerufen. Viel Zeit verschlingt außerdem der „Berufsethische Unterricht“ in der Polizeischule.

    Von bitteren Pillen

    Polizist zu sein, das ist erfüllend, heißt aber auch, so manche bittere Pille schlucken zu müssen. Schön ist der Beruf, wenn Polizisten ein Dankeschön erhalten, weil sie einem Menschen in Not halfen. Polizisten werden aber auch dann gerufen, wenn sich jemand entschied, gewaltsam aus dem Leben zu scheiden. Sie schreiten ein, wenn einem Kind in der Familie Gewalt geschieht. Und sie bekommen Opfer schrecklicher Unfälle zu sehen. „Manchmal sagen mir junge Leute, dass sie zur Polizei wollten, weil das ein sicherer Beruf ist“, berichtet Zöller. Dann wiegt er nachdenklich den Kopf: „Euer Beruf ist bestimmt krisenfest, aber ‚sicher‘ ist er garantiert nicht.“

    Polizisten sind „besondere“ Menschen, den meisten ist Tüchtigkeit im Beruf, familiäre Stabilität und Beständigkeit im Leben sehr wichtig. Soziologisch würde man das Gros der Polizisten in die Kategorie „bürgerlich-konservativ“ einordnen. Im Dienst nun treffen die Beamten auf Menschen, die völlig anders „gestrickt“ sind. Für die ist es einfach nur „spießig“, sich den Normen der bürgerlichen Gesellschaft anzupassen. Genau dadurch können Konflikte entstehen. Weshalb sich Matthias Zöller in seinem Unterricht viel Zeit nimmt, um mit Polizisten in spe über „Werte“ nachzudenken. In einer immer vielfältigeren Gesellschaft, sagt er, kommt diesem Thema eine zunehmend größere Bedeutung zu.

    Früher gab es, grob eingeteilt, die oberen Schichten der Gesellschaft und die unteren. Dazwischen tummelte sich der Mittelstand. „Heute ist unsere Gesellschaft enorm fragmentiert“, sagt Zöller. Viele Menschen leben in „Communitys“ oder, wie es derzeit so schön heißt, „Blasen“. Da ist die Community der „queeren“ Leute – also all jener, die nicht heterosexuell leben. Migranten können eigene Communitys bilden. Es gibt eher rechte und eher linke Lager. Sowie Bürger, die sich der Idee einer ökologischen Transformation verschrieben haben. Polizisten müssen, um Konflikte zu vermeiden, wissen, dass sie in diesen „Milieus“ auf Menschen treffen, die völlig anders ticken als sie selbst.

    Oft Alkohol im Spiel

    Nun kann man jemanden vorwerfen, dass er überholte Ansichten hat. Womit jede Diskussion im Keim erstickt wird. Oder die geäußerte Meinung wirkt so krude, dass man sie mit dem Etikett „Verschwörungstheorie“ abstempelt. In eben diesen Tendenzen sieht Matthias Zöller eine mögliche Ursache, warum Aggressivität latent und offen zunimmt: „Der Wille zum Diskurs schwindet.“ Das kann Frust erzeugen. Nach seiner Beobachtung ist es denn auch viel mehr Frust als regelrechter „Polizeihass“, der sich entlädt, wenn Beamte angepöbelt, gebissen oder attackiert werden. „Zu beobachten ist vor allen Dingen, dass meist Alkohol im Spiel ist“, sagt der Seelsorger.

    Die Politik setzt sich mit Nachdruck für eine härtere Bestrafung von Bürgern ein, die Polizisten attackieren. So brachte der Bundestag vor drei Jahren das „Gesetz für einen stärkeren Schutz von Polizeibeamten und Rettungskräften“ auf den Weg. Es sieht eine Mindeststrafe von drei Monaten für Gewalttaten gegen Polizisten vor. Das Ziel, Gewalt zu verhindern, wurde jedoch weit verfehlt: Die Zahlen stiegen weiter. Und zwar sowohl bundes- als auch bayernweit. Im Freistaat waren letztes Jahr 18500 Beamte Opfer von Beleidigungen, Angriffen oder Widerstandshandlungen. 2015 waren es erst 15000.

    Gewaltmonopol

    Kaum ein Streifenbeamter wird heute von der steigenden Aggressivität verschont, wobei es, so Zöller, vor allem in den Städten immer häufiger zu kritischen Situationen kommt. Unlängst hat er dies selbst erlebt, als er seine Kollegen von der Polizei nachts begleitete. Das Team wurde zu einer Würzburger Diskothek gerufen, weil sich ein alkoholisierter Gast renitent gebärdet hatte. Die Polizisten holten den Mann raus: „Auf der Straße bildete sich sofort ein Mob von Sympathisanten, die unflätigste Beleidigungen losließen.“ Einige filmten die Szene mit ihrem Handy. Unter größten Widerständen sei der Betrunken ins Auto verfrachtet worden.

    Die Mitarbeiter der Polizei müssen aber auch ihrerseits Gewalt anwenden. Zöller: „Die Polizei hat in unserem Staat das Gewaltmonopol.“ Nun gilt, dass überall dort, wo Gewalt angewendet werden darf, Gewalt auch missbraucht werden kann. Deshalb ist es für den Polizeiseelsorger sehr wichtig, mit Polizeischülern über die Gewalt, die von ihnen ausgehen kann und meist auch ausgehen muss, zu sprechen. Mit dem Recht, Gewalt ausüben zu dürfen, muss laut dem Theologen sehr reflektiert umgegangen werden. Zumal es sehr häufig dann zur Gewaltanwendung kommt, wenn die Nerven ohnehin zum Zerreißen gespannt sind.

    Am richtigen Platz

    Vielen Polizisten widerstrebt es, zur Waffe zu greifen. Es ist ihnen zuwider, Gewalt anzuwenden und ihr Gegenüber zu bezwingen. Und doch müssen sie es tun. Wie sie überhaupt Befehle auszuführen haben, auch wenn sie ihnen insgeheim fragwürdig erscheinen. So kann ein „einfacher“ Beamter nicht für sich entscheiden, ob er um 3 Uhr morgens zu einem Geflüchteten gehen möchte oder nicht, um ihn aus dem Bett zu reißen und abzuschieben. Das wird höheren Orts beschlossen. Als extrem unangenehm erleben es viele Polizisten auch, in Ankerzentren für Geflüchtete zu gehen. Allerdings haben sie es nicht zu verantworten, dass es diese Unterkünfte überhaupt gibt.

    Matthias Zöller, der über langjährige Erfahrungen in der Jugendarbeit verfügt, fand 2017 mit der Polizeiseelsorge seinen Traumberuf – obwohl und gerade weil er dort ein sehr schwieriges Feld zu beackern hat. „Ich fühle mich als Mensch und als Kirche hier am richtigen Platz“, sagt der Theologe. Die von Ellen Ammann gegründete Polizeiseelsorge feiert heuer ihr hundertjähriges Bestehen. In Unterfranken soll dies im September mit einer Pilgertour auf dem Oberpfälzer Jakobusweg geschehen.

    Pat Christ