Welchen Beitrag kann die kirchliche Jugendarbeit zur Pastoral und Katechese heute und in der Zukunft bei Jugendlichen leisten, die sich kaum oder nur schwer in Gesellschaft und Kirche einbinden lassen? Mit dieser Frage setzten sich in Würzburg im „Kilianeum – Haus der Jugend“ rund 120 Teilnehmer eines Symposiums auseinander, zu dem die Verantwortlichen der katholischen und evangelischen Jugendarbeit eingeladen hatten. Dabei stellte sich bei den Referaten und in den Arbeitsgruppen heraus, dass die Methoden der Jugendarbeit, wie sie bislang als zeitgemäß angewendet werden, grundsätzlich reformiert werden müssten, um eine zukunftsfähige Jugendarbeit zu entwickeln.
So stellte Bernhard Spielberg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Praktische Theologie der Universität Würzburg, fünf Elemente einer Pastoral vor, mit der man heute den Jugendlichen auf Augenhöhe begegnen müsse: Diese dürfe keine Angst zeigen, sich auf ungewohnten Wegen nasse Füße zu holen, und akzeptieren, dass die Kirche auch in einer Jugend, die sich als „so nah und doch so fern“ – so auch der Titel des Symposiums – präsentiere, die Botschaft Gottes lesen könne. Eine solche Pastoral müsse kritisch gegenüber Erscheinungen von Kult und Wahn reagieren und dürfe auch die Frage nach der Macht nicht verschweigen. Sie sei schließlich gehalten, bei den Jugendlichen die Entwicklung von Individualisierung und Identität zuzulassen, um mit ihnen überhaupt ins Gespräch kommen zu können. Viele von ihnen gehörten nämlich Milieus an, in denen individuelles Verhalten ein besonderes Kennzeichen sei. Sie ließen sich in die etablierten Sozialformen der Kirche, die sich nach Menschen mit überwiegend traditionellen Werteordnungen ausrichteten, nicht einordnen. Deshalb sei es wichtig, Formen eines Dialogs zu entwickeln und zu kultivieren, wie sie sich beim Weltjugendtag 2005 in Köln in der Begegnung mit Jugendlichen aus unterschiedlichen Milieus erfolgreich bewährt hätten. Die Kirche besitze nachweislich kreatives Potenzial, sich zu wandeln, ohne Tradition und Innovation gegeneinander auszuspielen.
In Lebenswelten anderer eigene Identität bewahren
Reinhold Ostermann, Referent im Amt für Jugendarbeit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, gab den Teilnehmern des Symposiums die Empfehlung mit auf den Weg, die Beschreibungen des Völkerapostels Paulus im Umgang mit anderen kulturellen Milieus zu beherzigen. Dieser berichte davon, dass er bei seiner Mission aus freien Stücken in die Lebenswelten der anderen eingetaucht sei, ohne die persönliche Identität aufzugeben. Das bedeute auch für heute und in der Zukunft, die Lebens- und Glaubenswelten derer, die man gewinnen wolle, zu respektieren, um wiederum selbst als Gesprächspartner respektiert zu werden. Hier könne man auch aus den Erfahrungen der Missionswissenschaft lernen. Mission sei immer erst gelungen, wenn man sich um die Inkulturation der eigenen Botschaft in der Lebenswelt des jeweiligen Gastvolkes bemüht habe. Es brauche daher neben der Exegese der biblischen Texte in der Verkündigung des Evangeliums auch eine Exegese der Lebensmilieus und Jugendkulturen, um die christliche Botschaft in die Lebenswelten junger Menschen inkulturieren zu können. Hierzu müssten Methoden und Formen entwickelt werden, die Jugendarbeitern in ihrer Praxis helfen. Kirchliche Jugendarbeit müsse milieufähig werden, ohne ihre subjektive Orientierung aufzugeben.
Zu Beginn des Symposiums hatte Johannes Reuter vom Leitungsteam der Kirchlichen Jugendarbeit der Diözese als Sprecher der ökumenischen Arbeitsgemeinschaft (AG) Jugend & Religion auf die Notwendigkeit hingewiesen, sich mit den Jugendmilieus auseinanderzusetzen. Im vergangenen Jahr habe man sich imit den Ergebnissen der Milieuforschungen des Instituts Sinus Sociovision befasst. „Da gingen ihnen die Augen auf“, zitierte Reuter. Die „Entdeckungsreise in die jugendlichen Lebenswelten“ anhand der soziologischen Statistiken habe zu der Ausrichtung dieses Symposium geführt, zu dem als Fachreferent Matthias Sellmann von der Katholisch-Sozialethischen Arbeitsstelle (KSA) Hamm der Deutschen Bischofskonferenz eingeladen worden war.
Dieser führte die Teilnehmer in die so genannten Sinus-Milieus ein, die bei der Entwicklung neuer Methoden in Jugendarbeit und Pastoral geeignete, ja notwendige Arbeitsinstrumente seien. Doch zunächst betonte Sellmann die Dringlichkeit solcher Reformen. Die Kirche stehe in einem kräftigen gesellschaftlichen Gegenwind und sei an einem Wendepunkt angelangt, an dem für die nächsten Jahre grundsätzliche und vor allem richtige Entscheidungen getroffen werden müssten. Bereits im Jahr 2000 hätten die Deutschen Bischöfe von Deutschland als Missionsland gesprochen. Aus der Volkskirche von früher sei längst eine „Kirche im Volk“ geworden. Heute gehe es darum, Missionare in der eigenen Gesellschaft für die eigene Gesellschaft auszubilden, umschrieb Sellmann das Problem.
Mit welcher Situation ist die Kirche heute konfrontiert? Sie müsse sich mit Menschen in neun unterschiedlichen Milieus auseinandersetzen, die grundsätzlich von drei gesellschaftlichen Strömungen geprägt seien. Dabei würden die Menschen aus traditionellen und konservativen Milieus, die noch das Gros der Kirchgänger stellten, immer mehr zur Minderheit. Die Kirche sei heute ein Anbieter unter vielen und stoße inzwischen häufig auf Unwissenheit, wohlwollendes Desinteresse oder nur kulturelles, im Blick auf Kult und Brauchtum sogar nur auf folkloristisches Interesse. Jugendarbeit sei noch auf die Bedürfnisse einer Generation ausgerichtet, in der die Suche nach Sinn und Orientierung eine Rolle spielte. Heute treffe man zunehmend auf Jugendliche, die Kirche nicht ablehnten oder provozieren wollten, sondern trotz Religionsunterrichts schlicht kein Verständnis für Glaube und Religion aufbrächten. Deren Interesse zu wecken, sei schwierig und brauche großes Einfühlungsvermögen. Die Aufgabe der Jugendarbeit und der Pastoral sei, Christentum für Menschen aus unterschiedlichen Milieus verstehbar zu machen.
Sinus-Milieus im Internet unter: „www.sinus-sociovision.de“;
Gute Kurzfassung unter: „www.weiterbildung-live.de/65.html“.