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    Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt...

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    Befreiung im Panzerfeuer

    Im Frühjahr 1945 verwandelt der Zweite Weltkrieg Unterfranken in ein chaotisches Schlachtfeld. Nachdem die amerikanischen Streitkräfte in der ersten Märzhälfte den Rhein überquert haben, stoßen sie mit mehreren Divisionen Richtung Westen in die Maingegend vor. In den drei Wochen nach dem Palmsonntag (25. März 1945) fallen Unterfrankens Städte und Dörfer wie Dominosteine. Vor Ort sehnen die Gemeindepfarrer mit der Bevölkerung das Ende der Kämpfe herbei. Die Aufzeichnungen der Geistlichen vermitteln ein lebendiges Bild vom Einmarsch der Amerikaner im Bistum Würzburg.
    „Kirche in Trümmern?“ lautet der Titel des Buches, in dem die Historikerin Verena von Wiczlinski 2005 Kriegs- und Einmarschberichte von katholischen Pfarrern der Diözese Würzburg veröffentlicht hat. Nach der deutschen Kapitulation lief eine Flut solcher Berichte beim Bischöflichen Ordinariat ein. Der Klerus folgte der Aufforderung des Amtsblattes, die letzten Kriegstage schriftlich zu dokumentieren. Genau 479 Gemeinden zählte das Bistum im Jahr 1945. Aus immerhin 141 Orten stammen die Berichte, die heute im Diözesanarchiv für künftige Generationen aufbewahrt werden.In einem gewaltigen Zeitsprung nehmen sie den Leser mit hinein ins Frühjahr 1945. Der Krieg ist noch nicht ausgestanden, sondern trifft die Zivilbevölkerung nun mit voller Wucht und Härte. Der schwere Luftangriff auf Würzburg am 16. März reißt etwa 5000 Menschen aus dem Leben. In den folgenden Wochen erreichen die Opferzahlen in der gesamten Region wiederum den vierstelligen Bereich. Trotz der er­drückenden militärischen Überlegenheit der Amerikaner erzwingen die deutschen Befehlshaber an vielen Orten die Verteidigung bis zum letzten Mann. Wer kapitulieren will, läuft Gefahr, standrechtlich hingerichtet zu werden. So auch in Aschaffenburg, wo ein Kriegsgericht am Karmittwoch, dem 28. März, einen Leutnant der Wehrmacht wegen angeblich feiger Äußerungen zum Tod durch Erhängen ver­urteilt. Als Stadtdekan Anton Heckelmann beim Hinrichtungskommando anfragen lässt, ob der Verurteilte einen Geistlichen wünsche, wütet der zuständige Major: „Ein Verräter braucht keinen Geistlichen. Übrigens sind diese Geistlichen, diese Schweinehunde, selbst alle Verräter und gehören aufgehängt.“ Der verurteilte Leutnant wird hingerichtet, als die Amerikaner Aschaffenburg bereits belagern. 

    Päpstliche Flagge gehisst

    In derselben Woche, am Karsamstag, fassen sich Bewohner von Stalldorf (Dekanat Röttingen) ein Herz und lassen die päpstliche Flagge sowie ein großes weißes Tuch von ihrem Kirchturm aus gen Westen wehen. Die Amerikaner sollen die Kapitulationsbereitschaft der Gemeinde erkennen. Der Pfarrer von Stalldorf, Dekan Friedrich Martin, notiert in seinem Bericht, was dann geschieht: „Gleich darauf kommt ein großer SS-Offizier und verlangt unter wüs­tem Schimpfen ‚auf die Saubande‘ die Einziehung der Fahne. Als sich der Pfarrer die Beschimpfung der Gemeinde und seiner Person verbat, zog er die Pistole, setzte sie dem Pfarrer auf die Brust und drohte mit Erschießen.“

    Das sinnlose Opfern von Menschenleben gehört in der Endphase des Krieges zum Alltag. Das Regime entblößt vor dem Untergang noch einmal sein wahres Gesicht. Wie zum Beispiel in Steinach an der Saale (Dekanat Münnerstadt). Hier spricht Pfarrer Johannes Schilling im Namen der Bevölkerung mit einem der Kommandeure und bittet darum, die in Steinach in Stellung gebrachte Panzerabteilung abzuziehen. Weil ihn sein Eingreifen in Lebensgefahr bringt, muss sich der Geistliche vorübergehend in einem Kartoffelkeller verstecken. Deutsche Soldaten eröffnen kurz darauf das Feuer und schießen von Steinach aus einen gegnerischen Panzer in Brand. Die Konsequenzen beschreibt Pfarrer Schilling in seinem Bericht: „Die Bevölkerung zog sich bangen Herzens in die Keller zurück. Der Pfarrhauskeller war mit Hausgerät und Menschen überfüllt. Die ganze Nacht hindurch lag das Dorf unter schwerstem Artilleriefeuer. Pausenlos krachten die Granaten.“ Als er zu einem Bauernhof gerufen wird, um einem Verwundeten die Sterbesakramente zu spenden, wagt sich Schilling aus dem Keller des Pfarrhauses. „Mit dem hl. Öl sprang ich von Haus zu Haus. Um mich herum krepierten die Geschosse. Wie ich mein Ziel erreichte, weiß ich nicht. Es war ein schauerliches Erlebnis. Ich konnte dem Sterbenden die hl. Ölung spenden. Der Blutverlust war so stark, dass er gegen früh verschied.“ 

    Wieder beten gelernt

    Die amerikanischen Soldaten wollen ihren Sieg so rasch wie möglich erkämpfen, sie haben in diesem Krieg bereits einen hohen Blutzoll entrichtet. Ortschaften, die sich den Eroberern widersetzen, werden sturmreif geschossen. In Rottendorf (Dekanat Würzburg rechts des Mains) notiert Pfarrer Joseph Balling: „Es wurde in diesen Tagen in den Kellern, aus denen man sich kaum herauswagen konnte, viel gebetet. Manche, die es vielleicht lange nicht mehr geübt hatten, lernten wieder beten.“ Nachdem der Widerstand gebrochen ist, rollen die amerikanischen Panzer durch die Städte und Dörfer. Zwar gelten die fremden Soldaten als Feinde, aber die meisten Deutschen sind einfach froh, dass das Gemetzel vorüber ist. Zumindest in dieser Hinsicht fühlen sich die Menschen befreit. In Ochsenfurt werden die Sieger von der Bevölkerung freundlich empfangen. Hier haben wenige Tage vor dem Einmarsch mutige Frauen die Verteidigungsbarrikaden an den Stadttoren beseitigt und damit offen ihre Sehnsucht nach Frieden de­mons­triert. Die Besetzung Ochsenfurts am Ostersonntag beschreibt Dekan Josef Braun mit nachdenklichen Worten: „Da rollen die feindlichen Panzer schon durch unsere Stadt. An vielen Häusern sehe ich weiße Fahnen. Leute schwenken weiße Tücher, manche überreichen Getränke und andere Gaben! Ich kann meine Gefühle nicht schildern, die ich dabei als Deutscher, als ehemaliger Soldat, der jetzt noch Brüder im Felde hat, im Herzen trug. Eines linderte meinen Schmerz: Der Alpdruck, der auf dem Herzen so lange lastete und es beschwerte, war weg! Ich konnte als natürlicher Mensch und als religiöser Mensch wieder frei atmen!“ Wie Dekan Braun empfindet mancher Zeitgenosse nach der Einstellung der Kampfhandlungen nicht nur dankbare Erleichterung. Die vernichtende militärische Niederlage Deutschlands schlägt Wunden. 

    In ihren Aufzeichnungen beurteilen die Seelsorger die amerikanischen Soldaten völlig unterschiedlich. Dekan Braun blickt wohlgefällig auf das Verhalten der Besatzer in Ochsenfurt: „Die Soldaten benehmen sich sehr anständig im Gotteshaus und machen durchwegs eine schöne Kniebeuge vor dem Allerheiligsten.“ In Hergolshausen (Dekanat Werneck) schreibt Dekan Wilhelm Büttner kurz und bündig: „Verhalten der Truppen gegenüber dem Pfarrer: sehr anständig, besonders die Schwarzen – ergreifende Einzelszenen“.

    Pfarrer beklagen großes Leid

    Es gibt auch andere Stimmen. Aus Burgwallbach (Dekanat Bischofsheim) berichtet Pfarrer Franz Bühner: „Die Amerikaner durchsuchten nachts mit vorgehaltenem Revolver die Häuser nach deutschen Soldaten. Bei einer aus Düsseldorf evakuierten Mutter eines Erstkommunikanten aßen die Amerikaner den ganzen Festkuchen auf.“ In Rottendorf (Dekanat Würzburg rechts des Mains) beklagt Pfarrer Joseph Balling das wüste Benehmen der Soldaten, die selbst vor dem Friedhof nicht Halt gemacht hätten. In der Leichenhalle seien die Wände verunstaltet worden „durch Zeichnungen scheußlichster Art (Aktdarstellungen)“. Dabei bleibt es nicht. Plünderungen und mutwillige Zerstörungen durch die Besatzer müssen viele Orte hinnehmen. Gelegentlich ist in den Aufzeichnungen der Pfarrer auch von sexuellen Übergriffen auf Frauen und von Vergewaltigungen die Rede.

    Lähmende Kriegsmüdigkeit

    Nicht alle Menschen erleben die Befreiung daher tatsächlich als Befreiung. Trotzdem scheint kaum jemand dem Regime der Nationalsozialisten eine Träne nachzuweinen. Lähmende Kriegsmüdigkeit prägt das Bild an allen Orten – eine Kriegsmüdigkeit, gegen die staatliche Durchhalteparolen am Ende machtlos waren. Und doch ist der Fluch des Krieges immer noch nicht ganz überwunden. Selbst nach dem Ende aller Kämpfe darf der Tod triumphieren, wie Pfarrer Franz Kunzmann aus Klingenberg am Main mitteilt: „Nachträglich forderte der Krieg nochmals fünf Opfer. Am 13. April spielten fünf Kinder, darunter ein Kommunionkind, mit deutscher Munition auf der Burg. Die Munition lag noch in Menge überall herum. Dabei explodierte eine Granate, und die fünf Kinder wurden tödlich verletzt. Drei waren sogleich tot, zwei starben am Nachmittag im Krankenhaus. Es war dies ein furchtbares Unglück und ein unbeschreiblicher Jammer für die Eltern. Die ganze Gemeinde begleitete den Trauerzug, als die fünf Todesopfer im Friedhof bestattet wurden.“