Der schmale Zugang führt außen an Blumenkübeln längs. Die umliegenden Häuser versperren den Blick auf das Gebäude der Kirche an sich, doch das macht nichts. Plötzlich öffnet sie sich hinter dem Kassenbereich, als würde irgendwer einen imaginären Bühnenvorhang zur Seite schieben. Dann stürzen die Bilder und Eindrücke mit Allgewalt auf ihre Betrachter ein. Wo soll man bei den Fresken zuerst hinsehen? Auf die Gewölbe, auf die Bögen, zum Altarbereich? Drinnen mischt sich eine getragene Stille mit dem Gemurmel von Besuchern. Da steht man nun inmitten der „Sixtinischen Kapelle von Valencia“, wie man die Sankt-Nikolaus-Kirche (spanisch: Iglesia de San Nicolás) gerne nennt. Zwar war Michelangelo hier nicht aktiv, wie im Original der Sixtinischen Kapelle im Vatikan, doch eine solche Kunst in Valencia braucht sich hinter nichts und niemandem zu verstecken. Die Fresken bedecken eine Fläche von annähernd 2000 Quadratmetern.
Gotische Kirche mit barocken Fresken
Die Kirche liegt im historischen Viertel und ist als eines der ältesten Gotteshäuser der Stadt dokumentiert. Der Ursprung datiert aus dem 13. Jahrhundert. Nach der christlichen Rückeroberung Valencias aus den Händen der Mauren im Jahre 1238 stellte König Jaime I. den Dominikanern ein Gelände zum Bau einer Kirche zur Verfügung. Laut Überlieferung wurde einer der Altäre dem dominikanischen Prediger Petrus Martyr (auch Petrus von Verona, etwa 1205 bis 1252) geweiht. Dessen Anrufung machte es einmal möglich, dass man hier auf wundersame Weise das Leben eines Neugeborenen rettete. So stieg Petrus Martyr in der Achtung der Glaubensgemeinde und avancierte zum Co-Patron der Kirche.
Der aus der Region stammende Priester Alonso de Borja (1378 bis 1458), später bekannt geworden als Papst Calixt III., pflegte als deren Rektor eine besondere Beziehung zur Nikolauskirche und bekleidete überdies das Bischofsamt von Valencia. Im 15. Jahrhundert kam es im Stil der Spätgotik zu einer Erweiterung, doch der wahre Wandel und der Grund, der bis heute wie magisch hineinzieht, folgte zur Barockzeit unter der Leitung des spanischen Architekten Juan Bautista Pérez Castiel. Er gab die Marschroute vor, um das Innere zwischen den Jahren 1697 und 1700 mit einer sagenhaften Freskenpracht auszugestalten. Der leitende Künstler hieß Dionís Vidal, der hinwiederum den Vorlagen seines Meisters Antonio Palomino folgte. So erhielten die Gewölbe und Wände buchstäblich einen neuen Anstrich – eine Melange aus gotischer Architektur und barocken Dekors.
Leben und Wunder der Heiligen
Die bestimmenden Motive bei den Fresken sind Szenen, die sich um die Leben und Wunder der beiden Kirchenpatrone ranken. Jeweils sechs große Gewölbefelder – zum Altar hin gewandt: rechts Nikolaus von Myra, links Petrus Martyr – sind damit gefüllt. Auf der Nikolaus-Seite sieht man unter anderem die Heilung einer gebrechlichen Frau, die Wiedererweckung eines Kinds und das Wunder der drei armen Mädchen, denen der Heilige als Mitgift drei goldene Äpfel in die Stube warf; den Schlusspunkt setzt Nikolaus‘ Tod, wobei das Sterbedatum im vierten Jahrhundert ungewiss ist. Beim Schwenk hinüber zur Vita des Petrus Martyr ist die Reihe an dessen Eintritt in den Dominikanerorden, wie er einem stummen Jungen zum Sprechen verhalf und wie er mit seinen gewandten Predigten die Zuhörer zur Konvertierung zum Christenglauben bewegte. Festgehalten ist auch seine Ermordung bei Mailand.
Detailverliebte Motive
Sieht man von den Szenenfolgen der Heiligen ab, bereicherte das Künstlerteam die Gewölbe mit einer Fülle detailverliebter Zusatzmotive. Da sieht man goldgelbe Girlanden, Pflanzengrün, Blumen in Rot und Weiß und pummelige Engelsfiguren, teils im Fluge, teils sitzend. Wie gut, dass es Bänke gibt, um selber Platz zu nehmen und die Blicke aufsteigen zu lassen. Fantastisch sind alleine die Farbgebungen, wie bei Gewändern in Himmelblau und Lila. Die Kolorierungen wurden bei den kostspieligen Restaurierungsmaßnahmen, die 2016 ihren Abschluss fanden, sorgsam herausgearbeitet. All die feinen Kleinigkeiten sind mit bloßem Auge nicht leicht zu erkennen. Mit der Kamera oder dem Smartphone lassen sie sich heranzoomen, auch für Fotos, die ohne Blitz gestattet sind. Bei der Begeisterung ist nicht auszuschließen, dass man sich ein wenig Nackenstarre holt. Der im Eintrittspreis enthaltene Audioguide hilft bei den Betrachtungen und lotst sogar zum perspektivisch besten Fotopunkt. Punktgenau ausgeleuchtet an der Grenze zum Altarraum ist eine Büste des rauschebärtigen Nikolaus‘, ein Werk des spätbarocken Bildhauers Ignacio Vergara. Dahinter, im golden glänzenden Hauptretabel, stehen Nikolaus und Petrus Martyr einträchtig als Skulpturen nebeneinander – im wahren Leben trennte sie fast ein Jahrtausend. Über dem Hochaltar schweben beide Heilige als Fresko auf einer Wolke in der Glorie, umgeben von Engeln.
Orgel und Engel
Beachtung beim Kirchenrundgang verdienen außerdem die barocke Orgel sowie Wanddekors mit Engelsfiguren und farbigen Schmuckkacheln. Die Kapellen sind dem Engel Raphael, dem heiligen Herzen Jesu, Antonius von Padua und anderen geweiht. Auch zwei aus Valencia gebürtige Persönlichkeiten sind mit eigenen Kapellen bedacht worden: der heilige Dominikaner Vinzenz Ferrer (1350-1419) und der selige Kaspar de Bono (1530-1604), der hier getauft und bestattet wurde. Ganz hinten in der Kirche führt ein Durchgang zur Kommunionskapelle, wo Stille herrscht und man etwas Luft holen kann – bevor die Rückkehr zur Freskenpracht aufs Neue den Atem verschlägt. Die Nikolaus-Kirche ist ein sakraler Höhepunkt in ganz Spanien. In Valencia sollte man auch die Kathedrale, die zum Weltkulturerbe zählende Seidenbörse, den Zentralmarkt und die Basilika Virgen de los Desamparados nicht versäumen; alles liegt nicht weit voneinander entfernt. Die Kathedrale rühmt sich, den Kelch des Letzten Abendmahls zu bewahren und animiert Besucher zu einem Aufstieg über 207 Stufen auf den Glockenturm Miguelete. In der barocken Basilika, geweiht der Jungfrau der Schutzlosen, ist die Kuppel ebenfalls mit Fresken ausgemalt.
Andreas Drouve
Hinweise für Besucher
Die Nikolaus-Kirche liegt in der Calle Caballeros 35. Touristische Besuche sind zu folgenden Zeiten möglich: von Oktober bis Juni dienstags bis freitags 10.30 bis 19 Uhr, samstags 10 bis 18.30 Uhr und sonntags 13 bis 19 Uhr; von Juli bis September dienstags bis freitags 10.30 bis 20.30, samstags 10 bis19.30 und sonntags 13 bis 20.30 Uhr. Der Eintritt beträgt elf Euro; inklusive ist ein Audioguide, der auf Spanisch, Englisch oder Französisch eingestellt wird. Auf der Internetseite www.sannicolasvalencia.com führt ein Link zu Reservierungen von Besuchen.