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Auf irischen Spuren durch Würzburg
Wenn Sie wollen, können Sie’s auch in fränkischem Englisch haben“, sagt Jürgen Gottschalk. Der Vorsitzende der deutsch-irischen Gesellschaft lacht und fügt hinzu „mit fränkischem K wie Gilian und weichem P.“ In „Fränglisch“ war es dann nicht nötig, weil alle Teilnehmer an dieser Stadttour auf Kilians Spuren deutschsprachig sind. Sie haben alle eine enge Verbindung zum Frankenapostel: Sie tragen den Namen Kilian oder sind die Eltern und Geschwister von einem Kilian.
Die kleine Gruppe mit dem bunten Fähnchen als Erkennungszeichen, hat sich am ersten Samstag des Kilianifestes, dass vor 975 Jahren mit dem Marktrecht in Würzburg begann, vor der Kilianspforte des Domes versammelt. Die schwere Bronzetür verschwindet fast hinter dem verkleideten Gerüst, das für den Fassadenanstrich des Domes nötig ist. Dennoch, deutlich zu erkennen ist die Geschichte von der Christianisierung des Frankenlandes durch die irischen Mönche Kilian, Kolonat und Totnan. Ein Schiffchen auf hoher See erinnert an die Überfahrt von Irland. Ursprünglich hatte Kilian sogar zwölf Gefährten, so wie Jesus zwölf Jünger hatte. Ganz unbiblisch weisen ein Pferdeschädel und ein zerbrochener Speer auf die Götterdämmerung im Germanenreich hin.
Jürgen Gottschalk streift sie kurz, die Germanen, geht dann zügig weiter in die Domhistorie nach dem Zweiten Weltkrieg, als Würzburg nach dem 16. März 1945 in Schutt und Asche lag. Dem damaligen Bischof und späteren Kardinal Julius Döpfner verdankt die Ka-thedrale die Bezeichnung Kiliansdom, erfahren die Zuhörer von dem Irlandkenner Gottschalk, der aber gleichermaßen in der Würzburger Stadtgeschichte zu Hause ist. Er weiß: „Erst 1967 wurde der Wiederaufbau des Domes abgeschlossen. Bischof Döpfner hatte nämlich dem Wohnungsbau in den 50er Jahren den Vorrang vor dem Dombau gegeben, da es seiner Meinung nach wichtiger war, den ausgebombten Würzburgern wieder ein Dach über dem Kopf zu geben.“
Vom Kiliansplatz geht es zum nahen Lusamgärtchen. Auch hier ist der Heilige Kilian anwesend. Auf dem Sandsteinpfeiler des tausend Jahre alten Kreuzgangs ist er mit dem Bischofsstab dargestellt. Allerdings segnend mit der linken Hand, wie Jürgen Gottschalk anmerkt. Für ihn ist Kilian deshalb nicht etwa Linkshänder gewesen, nein, dass hier die Seiten verkehrt wurden, geschah wohl bei der Übertragung auf den Stein, vermutet er. Gottschalk scheint ein nie versiegender Quell zu sein, wenn es um Anknüpfungspunkte zwischen Würzburg und Irland geht. „Das Wort Lus in Lusamgärtchen stammt aus dem Irischen und bedeutet Heilkräuter, die in der Klostertradition ihren festen Platz hatten“, erklärt er.
Das Lusamgärtchen war auch der bevorzugte Platz des bekannten irischen Dichters John Millington Synge. Er studierte 1894 Musik in Würzburg, um dann doch Schriftsteller zu werden. Synge verehrte Walther von der Vogelweide, der im Lusamgärtchen begraben ist. Doch es kommt noch besser: Auch der berühmte irische Dramatiker Samuel Beckett besuchte das Lusamgärtchen. Das war 1937.
Vom romantischen Efeu bewachsenen Kreuzgang geht es für die „Kilians“ dann zum Tatort von 689: In der jetzigen Krypta des Neumünsters war der Legende nach damals der Pferdestall, der Platz, an dem ihr Namenspatron mit seinen zwei Gefährten ermordet wurde.
Die Geschichte ist den meis-ten so bekannt wie das Datum des Martyriums, der
8. Juli, der Gedenktag des Heiligen Kilian. Damals herrschte Herzog Gosbert in Würzburg und hatte Gailana, die Frau seines verstorbenen Bruders geehelicht. Das jedoch stand im Widerspruch zum damaligen Kirchenrecht. Kilian rügte die Verbindung, Gailana ließ ihn umbringen. An dieser Stelle der Geschichte gibt uns Jürgen Gottschalk noch einen interessanten Einblick in das Thema „Verwandschaftsehen“. Das sei damals durchaus üblich gewesen, betont er. Onkel und Nichte, Tante und Neffe, es blieb alles in der Familie. „Und wissen Sie, was die häufigste Kombination war? – Schwiegermutter und Schwiegersohn!“ Die Zuhörer fragen sich, warum es ausgerechnet heilige Männer vom äußersten nord-westlichen Zipfel Europas sein mussten, die auf dem Festland den Glauben verbreiteten. Jürgen Gottschalk zufolge wollten die Missionare von der Insel ursprünglich gar nicht missionieren. Mit ihrer Wanderung hatten sie vielmehr das so genannte grüne Martyrium auf sich genommen. In Irland selbst gab es keine Gelegenheit zum Märtyrer zu werden, so Gottschalk. Dort war der Frieden gefestigt, weil die führenden Familien ihre Kinder zur Erziehung untereinander tauschten. Mangels Gelegenheit also, entstand das Martyrium in der Verbannung. Fern von der geliebten Heimat musste sich die Glaubensfestigkeit erweisen.
Gottschalk weiß auch, warum ein Herzog wie Gosbert so fasziniert war von den Wanderpredigern aus dem Norden. „Damals war hier die Bußtaufe üblich, von der an nicht mehr gesündigt werden durfte. So kam es dazu, dass man erst auf dem Totenbett die Bußtaufe erhielt, um sozusagen mit dieser letzten Chance zur Umkehr in den Stand der Gnade zu gelangen. Deshalb holten sich die Regenten einen Priester in ihr Gefolge. Der Geistliche musste in der Nähe sein, wenn der Herrscher dem Tode nahe war. Die irischen Kleriker dagegen wendeten Buße und Beichte an, und das brachte eine gewisse Entspannung in das Glaubensleben.“
Im sanften Dämmerlicht der Krypta erfahren die Kilians auch Details über das Aussehen der irischen Wandermönche. Gottschalks Schilderung lässt an Plastizität nichts zu wünschen übrig: „Über dem bodenlangen Untergewand trug der irische Missionar einen überlangen Mantel, der auch als Schlafdecke diente. Mit einem Gürtel wurde der Mantel hochgerafft. Die Haare ließen sich Kilian und seine Begleiter von der Stirn bis zur Mitte des Kopfes scheren, die übrigen Haare durften wachsen; sie banden sie nur zusammen. Das war eine speziell irische Tonsur. Die Ausstattung bestand aus einem Reliquienkästchen und einer Büchertasche. Um die Füße wurde als eine Art Schuh die Haut frisch geschlachteter Schafe gebunden, die sich der Form anpasste.“ Ein verblüffendes Detail bringt Gottschalk zum Schluss: „Lidstrich und Lidschatten in rot oder schwarz gehörten in den Frühzeiten der Missionierung unbedingt dazu.“
Plötzlich dringt Musik in die unterirdische Stille. Das Tschingderassabum einer Blaskapelle von draußen und ein mit stürmischer Orgel begleitetes „Großer Gott wir loben dich“ aus dem Kirchenschiff des Neumünsters. Dort beenden gerade die Kiliani-Wallfahrer aus Mädel-hofen ihren Gottesdienst. Rechtzeitig, um sich den Festzug zum Auf-takt der Kirchweih von der Treppe der Neumünsterkiche aus anzuschauen. Auch die Kilians wollen sich den Trachtenzug nicht entgehen lassen.
Sobald die Straße wieder passierbar ist, folgt der nächste deutsch-irische Angelpunkt in der Marienkapelle am Marktplatz. Vor dem schlichten Grab des Makarius bekommt die Missionstätigkeit von der Insel allmählich Struktur. „Der irische Einfluss auf das fränkische Christentum
lässt sich in drei Wellen aufteilen“, sagt Gottschalk.
Die ersten waren Kilian und seine Nachfolger, die als Pioniere vom 7. bis zum 8. Jahrhundert hierher kamen. Danach waren es die irischen Scholaren, die bis zum 11. Jahrhundert christlich-abendländisches Wissen nach Mitteleuropa trugen. Allerdings unterlagen sie nicht mehr dem Gelübde der freiwilligen Verbannung von der Insel. Sie hielten Kontakt mit ihren Landsleuten. Einer der führenden Vertreter dieser zweiten irischen Welle ist nach Gottschalks Worten Clemens Scottus, der Leiter der Palastschule Karls des Großen und der Lehrer dessen Enkels Lothar. Clemens zog sich um 830 an das Grab Kilians zurück, um hier seine Studien fortzusetzen und um in der Nähe des Heiligen zu sterben. „Die Schriften von Clemens Scottus sind heute in der Universitätsbibliothek und beinhalten die ältesten erhaltenen irischen Schriftzeugnisse der Welt“, sagt Gottschalk nicht ohne Stolz.
Vom 11. bis zum 16. Jahrhundert waren es Benediktinermönche aus Irland, die am Main ihre Klöster bauten. Das hatte einen guten Grund. Irische Pilger auf dem Weg ins Heilige Land und nach Rom machten häufig Station in Würzburg, um das Grab ihrer Landsleute zu besuchen.Von Regensburg aus wurde im Jahr 1139 das irische Benediktinerkloster St. Jakob unter anderem auch als Herberge für die Wallfahrer gegründet. Die Würzburger nannten es „Schottenkloster“. In jener Zeit habe man irische oder schottische Herkunft hier am Main nicht so genau unterschieden, erklärt der Irland-Spezialist. Der erste Abt von
St. Jakob stammte aus der königlichen Familie McCarthy und hieß latinisiert Makarius. Er wurde neben Sankt Kilian ein Patron der Stadt Würzburg. Bösen Zungen und allen kontinentalen Vorurteilen zum Trotz verteidigt Jürgen Gottschalk die traditionelle Jahrhunderte alte Abstinenz der Iren. „Das Bild des irischen Säufers ist eine Erfindung der Engländer“, erläutert er den Hintergrund. Gerade von Makarius sei da eine treffliche Geschichte überliefert. „Als man ihn zu einem Glas Wein eingeladen hatte, das er nicht ablehnen konnte, ohne den Gastgeber zu beleidigen, hat er das Wunder der Hochzeit von Kanaan umgekehrt: Makarius soll den Wein in Wasser verwandelt haben“, berichtet Gottschalk schmunzelnd.
Im Jahr 1730 entstand sogar eine Makarius-Bruderschaft zur Erinnerung an den irischen Benediktinerabt. In den Wirren des Zweiten Weltkriegs löste sich die Bruderschaft auf. Und sie wäre längst vergessen, wenn sie auf Anregung der deutsch-irischen Gesellschaft nicht zu Kiliani 1990 wieder begründet worden wäre. „ Heute ist die Makarius-Bruderschaft eine ökumenische Gebetsgemeinschaft für den Frieden in Irland“, betont Jürgen Gottschalk.
Der Schlusspunkt des Stadtrundgangs auf irischen Spuren ist mitten auf der alten Mainbrücke an der Statue des Heiligen Kilian. Noch einmal geht der Blick hinüber zum ehemaligen Jakobskloster, der heutigen Don-Bosco- Kirche der Salesianer. Etwas links davon ist der Turm der Deutschhauskirche zu sehen, einst als Deutschordenskirche erbaut. Auch dazu gibt es zum Abschluss noch ein hübsche Anekdote.
„Warum hat die Deutschhauskirche einen Torbogen?“ fragt Jürgen Gottschalk in die Runde. „Tja, meint er, die Mönche von St. Jakob wollten auf direktem Weg in die Stadt gehen und nicht um die Deutschordenskirche herumlaufen. Sie waren halt fußfaul“, sagt er lachend. Nach der Tour mit Jürgen Gottschalk wissen die Kilians und ihre Verwandten endlich, warum Würzburg, und nur Würzburg, DIE irische Stadt auf dem Kontinent ist. „Die Kontakte zwischen Irland und Würzburg sind in 1300 Jahren nie abgerissen“, sagt Gottschalk. Und die deutsch-irische Gesellschaft sorgt dafür, dass es stetig mehr werden.
Die kleine Gruppe mit dem bunten Fähnchen als Erkennungszeichen, hat sich am ersten Samstag des Kilianifestes, dass vor 975 Jahren mit dem Marktrecht in Würzburg begann, vor der Kilianspforte des Domes versammelt. Die schwere Bronzetür verschwindet fast hinter dem verkleideten Gerüst, das für den Fassadenanstrich des Domes nötig ist. Dennoch, deutlich zu erkennen ist die Geschichte von der Christianisierung des Frankenlandes durch die irischen Mönche Kilian, Kolonat und Totnan. Ein Schiffchen auf hoher See erinnert an die Überfahrt von Irland. Ursprünglich hatte Kilian sogar zwölf Gefährten, so wie Jesus zwölf Jünger hatte. Ganz unbiblisch weisen ein Pferdeschädel und ein zerbrochener Speer auf die Götterdämmerung im Germanenreich hin.
Jürgen Gottschalk streift sie kurz, die Germanen, geht dann zügig weiter in die Domhistorie nach dem Zweiten Weltkrieg, als Würzburg nach dem 16. März 1945 in Schutt und Asche lag. Dem damaligen Bischof und späteren Kardinal Julius Döpfner verdankt die Ka-thedrale die Bezeichnung Kiliansdom, erfahren die Zuhörer von dem Irlandkenner Gottschalk, der aber gleichermaßen in der Würzburger Stadtgeschichte zu Hause ist. Er weiß: „Erst 1967 wurde der Wiederaufbau des Domes abgeschlossen. Bischof Döpfner hatte nämlich dem Wohnungsbau in den 50er Jahren den Vorrang vor dem Dombau gegeben, da es seiner Meinung nach wichtiger war, den ausgebombten Würzburgern wieder ein Dach über dem Kopf zu geben.“
Vom Kiliansplatz geht es zum nahen Lusamgärtchen. Auch hier ist der Heilige Kilian anwesend. Auf dem Sandsteinpfeiler des tausend Jahre alten Kreuzgangs ist er mit dem Bischofsstab dargestellt. Allerdings segnend mit der linken Hand, wie Jürgen Gottschalk anmerkt. Für ihn ist Kilian deshalb nicht etwa Linkshänder gewesen, nein, dass hier die Seiten verkehrt wurden, geschah wohl bei der Übertragung auf den Stein, vermutet er. Gottschalk scheint ein nie versiegender Quell zu sein, wenn es um Anknüpfungspunkte zwischen Würzburg und Irland geht. „Das Wort Lus in Lusamgärtchen stammt aus dem Irischen und bedeutet Heilkräuter, die in der Klostertradition ihren festen Platz hatten“, erklärt er.
Das Lusamgärtchen war auch der bevorzugte Platz des bekannten irischen Dichters John Millington Synge. Er studierte 1894 Musik in Würzburg, um dann doch Schriftsteller zu werden. Synge verehrte Walther von der Vogelweide, der im Lusamgärtchen begraben ist. Doch es kommt noch besser: Auch der berühmte irische Dramatiker Samuel Beckett besuchte das Lusamgärtchen. Das war 1937.
Vom romantischen Efeu bewachsenen Kreuzgang geht es für die „Kilians“ dann zum Tatort von 689: In der jetzigen Krypta des Neumünsters war der Legende nach damals der Pferdestall, der Platz, an dem ihr Namenspatron mit seinen zwei Gefährten ermordet wurde.
Die Geschichte ist den meis-ten so bekannt wie das Datum des Martyriums, der
8. Juli, der Gedenktag des Heiligen Kilian. Damals herrschte Herzog Gosbert in Würzburg und hatte Gailana, die Frau seines verstorbenen Bruders geehelicht. Das jedoch stand im Widerspruch zum damaligen Kirchenrecht. Kilian rügte die Verbindung, Gailana ließ ihn umbringen. An dieser Stelle der Geschichte gibt uns Jürgen Gottschalk noch einen interessanten Einblick in das Thema „Verwandschaftsehen“. Das sei damals durchaus üblich gewesen, betont er. Onkel und Nichte, Tante und Neffe, es blieb alles in der Familie. „Und wissen Sie, was die häufigste Kombination war? – Schwiegermutter und Schwiegersohn!“ Die Zuhörer fragen sich, warum es ausgerechnet heilige Männer vom äußersten nord-westlichen Zipfel Europas sein mussten, die auf dem Festland den Glauben verbreiteten. Jürgen Gottschalk zufolge wollten die Missionare von der Insel ursprünglich gar nicht missionieren. Mit ihrer Wanderung hatten sie vielmehr das so genannte grüne Martyrium auf sich genommen. In Irland selbst gab es keine Gelegenheit zum Märtyrer zu werden, so Gottschalk. Dort war der Frieden gefestigt, weil die führenden Familien ihre Kinder zur Erziehung untereinander tauschten. Mangels Gelegenheit also, entstand das Martyrium in der Verbannung. Fern von der geliebten Heimat musste sich die Glaubensfestigkeit erweisen.
Gottschalk weiß auch, warum ein Herzog wie Gosbert so fasziniert war von den Wanderpredigern aus dem Norden. „Damals war hier die Bußtaufe üblich, von der an nicht mehr gesündigt werden durfte. So kam es dazu, dass man erst auf dem Totenbett die Bußtaufe erhielt, um sozusagen mit dieser letzten Chance zur Umkehr in den Stand der Gnade zu gelangen. Deshalb holten sich die Regenten einen Priester in ihr Gefolge. Der Geistliche musste in der Nähe sein, wenn der Herrscher dem Tode nahe war. Die irischen Kleriker dagegen wendeten Buße und Beichte an, und das brachte eine gewisse Entspannung in das Glaubensleben.“
Im sanften Dämmerlicht der Krypta erfahren die Kilians auch Details über das Aussehen der irischen Wandermönche. Gottschalks Schilderung lässt an Plastizität nichts zu wünschen übrig: „Über dem bodenlangen Untergewand trug der irische Missionar einen überlangen Mantel, der auch als Schlafdecke diente. Mit einem Gürtel wurde der Mantel hochgerafft. Die Haare ließen sich Kilian und seine Begleiter von der Stirn bis zur Mitte des Kopfes scheren, die übrigen Haare durften wachsen; sie banden sie nur zusammen. Das war eine speziell irische Tonsur. Die Ausstattung bestand aus einem Reliquienkästchen und einer Büchertasche. Um die Füße wurde als eine Art Schuh die Haut frisch geschlachteter Schafe gebunden, die sich der Form anpasste.“ Ein verblüffendes Detail bringt Gottschalk zum Schluss: „Lidstrich und Lidschatten in rot oder schwarz gehörten in den Frühzeiten der Missionierung unbedingt dazu.“
Plötzlich dringt Musik in die unterirdische Stille. Das Tschingderassabum einer Blaskapelle von draußen und ein mit stürmischer Orgel begleitetes „Großer Gott wir loben dich“ aus dem Kirchenschiff des Neumünsters. Dort beenden gerade die Kiliani-Wallfahrer aus Mädel-hofen ihren Gottesdienst. Rechtzeitig, um sich den Festzug zum Auf-takt der Kirchweih von der Treppe der Neumünsterkiche aus anzuschauen. Auch die Kilians wollen sich den Trachtenzug nicht entgehen lassen.
Sobald die Straße wieder passierbar ist, folgt der nächste deutsch-irische Angelpunkt in der Marienkapelle am Marktplatz. Vor dem schlichten Grab des Makarius bekommt die Missionstätigkeit von der Insel allmählich Struktur. „Der irische Einfluss auf das fränkische Christentum
lässt sich in drei Wellen aufteilen“, sagt Gottschalk.
Die ersten waren Kilian und seine Nachfolger, die als Pioniere vom 7. bis zum 8. Jahrhundert hierher kamen. Danach waren es die irischen Scholaren, die bis zum 11. Jahrhundert christlich-abendländisches Wissen nach Mitteleuropa trugen. Allerdings unterlagen sie nicht mehr dem Gelübde der freiwilligen Verbannung von der Insel. Sie hielten Kontakt mit ihren Landsleuten. Einer der führenden Vertreter dieser zweiten irischen Welle ist nach Gottschalks Worten Clemens Scottus, der Leiter der Palastschule Karls des Großen und der Lehrer dessen Enkels Lothar. Clemens zog sich um 830 an das Grab Kilians zurück, um hier seine Studien fortzusetzen und um in der Nähe des Heiligen zu sterben. „Die Schriften von Clemens Scottus sind heute in der Universitätsbibliothek und beinhalten die ältesten erhaltenen irischen Schriftzeugnisse der Welt“, sagt Gottschalk nicht ohne Stolz.
Vom 11. bis zum 16. Jahrhundert waren es Benediktinermönche aus Irland, die am Main ihre Klöster bauten. Das hatte einen guten Grund. Irische Pilger auf dem Weg ins Heilige Land und nach Rom machten häufig Station in Würzburg, um das Grab ihrer Landsleute zu besuchen.Von Regensburg aus wurde im Jahr 1139 das irische Benediktinerkloster St. Jakob unter anderem auch als Herberge für die Wallfahrer gegründet. Die Würzburger nannten es „Schottenkloster“. In jener Zeit habe man irische oder schottische Herkunft hier am Main nicht so genau unterschieden, erklärt der Irland-Spezialist. Der erste Abt von
St. Jakob stammte aus der königlichen Familie McCarthy und hieß latinisiert Makarius. Er wurde neben Sankt Kilian ein Patron der Stadt Würzburg. Bösen Zungen und allen kontinentalen Vorurteilen zum Trotz verteidigt Jürgen Gottschalk die traditionelle Jahrhunderte alte Abstinenz der Iren. „Das Bild des irischen Säufers ist eine Erfindung der Engländer“, erläutert er den Hintergrund. Gerade von Makarius sei da eine treffliche Geschichte überliefert. „Als man ihn zu einem Glas Wein eingeladen hatte, das er nicht ablehnen konnte, ohne den Gastgeber zu beleidigen, hat er das Wunder der Hochzeit von Kanaan umgekehrt: Makarius soll den Wein in Wasser verwandelt haben“, berichtet Gottschalk schmunzelnd.
Im Jahr 1730 entstand sogar eine Makarius-Bruderschaft zur Erinnerung an den irischen Benediktinerabt. In den Wirren des Zweiten Weltkriegs löste sich die Bruderschaft auf. Und sie wäre längst vergessen, wenn sie auf Anregung der deutsch-irischen Gesellschaft nicht zu Kiliani 1990 wieder begründet worden wäre. „ Heute ist die Makarius-Bruderschaft eine ökumenische Gebetsgemeinschaft für den Frieden in Irland“, betont Jürgen Gottschalk.
Der Schlusspunkt des Stadtrundgangs auf irischen Spuren ist mitten auf der alten Mainbrücke an der Statue des Heiligen Kilian. Noch einmal geht der Blick hinüber zum ehemaligen Jakobskloster, der heutigen Don-Bosco- Kirche der Salesianer. Etwas links davon ist der Turm der Deutschhauskirche zu sehen, einst als Deutschordenskirche erbaut. Auch dazu gibt es zum Abschluss noch ein hübsche Anekdote.
„Warum hat die Deutschhauskirche einen Torbogen?“ fragt Jürgen Gottschalk in die Runde. „Tja, meint er, die Mönche von St. Jakob wollten auf direktem Weg in die Stadt gehen und nicht um die Deutschordenskirche herumlaufen. Sie waren halt fußfaul“, sagt er lachend. Nach der Tour mit Jürgen Gottschalk wissen die Kilians und ihre Verwandten endlich, warum Würzburg, und nur Würzburg, DIE irische Stadt auf dem Kontinent ist. „Die Kontakte zwischen Irland und Würzburg sind in 1300 Jahren nie abgerissen“, sagt Gottschalk. Und die deutsch-irische Gesellschaft sorgt dafür, dass es stetig mehr werden.