Evangelium
In jener Zeit sprach Jesus in Gleichnissen zu seinen Jüngern: Kann etwa ein Blinder einen Blinden führen? Werden nicht beide in eine Grube fallen? Ein Jünger steht nicht über dem Meister; jeder aber, der alles gelernt hat, wird wie sein Meister sein. Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem eigenen Auge bemerkst du nicht? Wie kannst du zu deinem Bruder sagen: Bruder, lass mich den Splitter aus deinem Auge herausziehen!, während du selbst den Balken in deinem Auge nicht siehst? Du Heuchler! Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge; dann kannst du zusehen, den Splitter aus dem Auge deines Bruders herauszuziehen. Es gibt keinen guten Baum, der schlechte Früchte bringt, noch einen schlechten Baum, der gute Früchte bringt. Denn jeden Baum erkennt man an seinen Früchten: Von den Disteln pflückt man keine Feigen und vom Dornstrauch erntet man keine Trauben. Der gute Mensch bringt aus dem guten Schatz seines Herzens das Gute hervor und der böse Mensch bringt aus dem bösen das Böse hervor. Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund.
Lukas 6,39–45
Zählen Sie bis sieben! Vor ungefähr drei Monaten habe ich in einer Zeitschrift gelesen: Wenn Sie abnehmen möchten, das Essen aber immer so lecker schmeckt, dann zählen Sie einfach mal bis sieben, bevor Sie sich Ihren Teller nochmals befüllen. „Zählen Sie bis sieben!“ – diese Aufforderung ploppt bei mir auf bei den Worten und Forderungen der Feldrede Jesu im Evangelium.
Jesus kennt uns. Und das ziemlich gut. Wir sind schnell, wenn es darum geht, Menschen auf kleine Verfehlungen, grobe Fehler, Unzulänglichkeiten oder Unvollkommenheiten hinzuweisen. Das sind die Splitter, die uns auffallen, wenn wir mit anderen Menschen in Kontakt sind und Beziehungen pflegen – vor allem, wenn wir uns nicht ganz grün sind oder in Konkurrenz stehen. Wir können sogar teilweise zahlreiche Wege aufzeigen, diese Fehler zu vermeiden oder zu überwinden.
Das geht solange gut, bis wir auf uns selbst schauen – da ist das deutlich schwerer. Aber mal ehrlich, auch wir haben Schwächen, leisten uns Diskrepanzen und unterliegen Irrtümern. Und während wir uns über den kleinen Splitter des anderen echauffieren und aufregen, übersehen wir großzügig, dass wir selbst auch nicht vollkommen sind. Nichts von dem, was wir beim Anderen entdecken, verachten und zurückweisen, ist uns selbst fremd. Unsere Fehler nehmen wir nicht (mehr) wahr.
Umso mehr zählt die Botschaft, die Jesus uns in seiner Feldrede mit auf den Weg gibt: Unser eingeschränktes Sehen und unser vorschnelles Verurteilen sollen wir mit einem überfließenden Herzen aufwiegen. Wie das gehen kann?
- Zählen Sie doch einfach die netten Eigenschaften von jemandem auf, über den Sie sich gerade aufregen oder aufregen möchten – geben Sie sich Mühe.
- Gehen Sie im Geiste durch, welche ähnlichen Verfehlungen, Unachtsamkeiten oder Schnitzer Ihnen irgendwann passiert sind.
- Schauen Sie den Menschen an und denken Sie: Dich hat der liebe Gott gemacht und er liebt dich, mich ja auch.
- Versuchen Sie, das Positive in der Situation zu erkennen – denken Sie gut nach.
- Atmen Sie, bevor Sie zu sprechen beginnen, tief ein und lange aus, tief ein und lange aus, ...
- Oder eben einfach kurz die Augen schließen und bis sieben zählen.
Ich weiß, das ist oft leichter gesagt, als am Ende dann wirklich getan. Aber Jesu Einladung ist eine Offerte zur Großmütigkeit gegenüber den Fehlern und Schwächen der Mitmenschen. Er lädt uns ein, die anderen Menschen in ihrer Ganzheit zu sehen. Er möchte nicht, dass wir den Menschen auf seine Schwäche(n), seine Macken oder auch seine Laster festnageln, sondern dass wir erkennen, dass der Mensch mehr ist als diese eine Leistung, dieses eine Tun oder jenes Verschulden.
Wir dürfen und können mit Milde, Güte und Verständnis hinschauen. Wer so auf die Macken und Makel, die Fehler und Unfähigkeiten seiner Mitmenschen schaut, der gibt jedem Gegenüber die Chance, die Maske, Hüllen und Verkleidungen fallen zu lassen.
Das lehren uns im Übrigen auch diese Faschingstage: Nimm dich selbst nicht zu wichtig, lache auch mal über dich selbst, drücke ein Auge zu und durchbrich deine gewohnten Muster, unterbrich immer mal deinen grauen Alltag. Sei bunt und echt, sei Mensch mit allem, was dazugehört. Und wenn‘s schwerfällt: Zählen Sie bis sieben!
Carmen Maria Bauer (carmen.bauer@bistum-wuerzburg.de) ist Religionslehrerin in Mömlingen, Großheubach und Ringheim.