Bei einer Kirchenversammlung kann es hoch hergehen. Hier stoßen Lebensstile und Glaubensinhalte zusammen. Bei der Würzburger Synode vor 50 Jahren war das gut zu beobachten. „Es gab große Kontroversen und Streitpunkte, bei denen man miteinander gerungen hat“, erinnert sich
Dr. Helmut Gabel. Doch die zeitweise aufgeheizte Stimmung unter den Teilnehmern führte nicht zur Spaltung. „Wir haben gelernt, zu streiten, ohne uns zu zerstreiten“, zitiert Gabel den damaligen Präsidenten der Synode, den Münchner Kardinal Julius Döpfner.
Blickt Gabel auf die Würzburger Synode zurück, ist das für ihn wie eine Reise in seine Jugend. Er war
16 Jahre alt, als die Versammlung erstmals am 3. Januar 1971 im Kiliansdom tagte. Eine konkrete Erwartung, was die Synode bringen würde, hatte er nicht. Als Gabel Jahre später Theologie studierte, beteiligte er sich mit anderen Studenten am Ordnungsdienst im Dom. Er verteilte Papiere – eine bedeutende Aufgabe. Denn bei den acht Vollversammlungen zwischen 1971 und 1975 hatten die Teilnehmer viele Vorlagen, Anträge und Dokumentationen zu sichten. Von „rund 60 Zentnern Papier“ bei der fünften Vollversammlung berichtete hinterher das Sonntagsblatt vom 2. Juni 1974. Mancher „Synodalen-Stoßseufzer“ sei angesichts der Papiermenge zu hören gewesen: „Wer schaut da noch durch!“
Aber die Synode war mehr als eine Papierfabrik, wie Gabel betont: „Mich hat es unwahrscheinlich beeindruckt, dass hier Bischöfe, Professoren, Priester, Laien, Männer und Frauen auf Augenhöhe miteinander diskutierten.“ Die offene Gesprächskultur und das gleichberechtigte Argumentieren seien ein Gewinn für die Kirche gewesen, urteilt der spätere Domkapitular und Leiter der Hauptabteilung Außerschulische Bildung. Entsprechend lebensnah seien auch die von den Synodalen verabschiedeten Papiere ausgefallen.
Gegenwind für die Kirche
Dass Würzburg zum Schauplatz einer Kirchenversammlung wurde, war eine Folge des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962–1965). Das Konzil hatte versucht, die Kirche an Veränderungen der Zeit anzupassen. In den 1960er Jahren flogen Menschen ins Weltall, Autos sorgten für Massenmobilität und Fernseher für Bilder aus aller Welt. Menschen hinterfragten zunehmend die Autorität religiöser Instanzen. Angesichts solcher Aufbrüche empfahl das Konzil der Kirche weltzugewandte Offenheit und Dialogbereitschaft. Diesen Impuls griff die Deutsche Bischofskonferenz auf, denn auch in Deutschland gab es für die Kirche beträchtlichen Gegenwind. 1969 beschlossen die Bischöfe das Abhalten einer „Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland“. Groß angelegte Meinungsumfragen begleiteten die Vorbereitungen.
Die beschlussfähige Cafeteria
Die Wahl der Synodenstadt fiel auf das zentral gelegene Würzburg, wo Kiliansdom und Burkardushaus in der Stadtmitte günstige Räumlichkeiten boten. Im Burkardushaus hatte unter anderem die Cafeteria der Synode ihren Platz. Diese erwies sich als beliebter Treffpunkt, wie sich Gabel erinnert: „Einmal waren die Bänke im Dom relativ leer und der Moderator sagte: Ich stelle fest, dass die Cafeteria inzwischen beschlussfähig ist.“
Rund 60 Bischöfe, 90 Priester, 30 Ordensleute und 140 Laien vertraten bei den Vollversammlungen im Dom die westdeutschen Bistümer. Bei den Abstimmungen über die Synodenbeschlüsse hatten alle Beteiligten, ob geweiht oder nicht, gleiches Stimmrecht. Eine Besonderheit, die kirchenrechtlich nicht vorgesehen war und auf eine Sondererlaubnis von Papst Paul VI. zurückging. Während der Beratungen verfügten die Bischöfe allerdings über ein Vetorecht, mit dem sie zum Beispiel 1972 einen Beschluss zum Thema Zölibatspflicht verhinderten. Nach dieser Entscheidung dampfte in den Reihen der Synodalen die Luft, doch notgedrungen rauften sich alle Teilnehmer wieder zusammen. Weitere kontroverse Themen gab es genug: Diakonat der Frau, Laienpredigt, Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten.
Auch das päpstliche „Pillenverbot“ von 1968 erhitzte noch immer die Gemüter. „Die Stimmung war explosiv, obwohl in stunden- und nächtelangen Gesprächen um einen Kompromiss gerungen worden war“, hieß es dazu im Sonntagsblatt vom 18. Mai 1975. „Zeitweise wurde in der Aula mit so viel Affekt diskutiert, dass die sachlichen Gründe der Auseinandersetzung überlagert waren.“ Ein mühsam gefundener Kompromiss rettete den Synodenbeschluss zum Thema Ehe und Familie. Die Formulierung des Textes spiegelte das päpstliche Verbot ebenso wie das Ja zur verantworteten Gewissensentscheidung von Paaren.
Manche ihrer Anliegen gaben die Synodalen in Form eines „Votums“ an den Vatikan weiter. So forderten sie mit Zustimmung der deutschen Bischöfe die Diakonatsweihe für Frauen und die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zu den Sakramenten. Doch nur bei der Laienpredigt fanden die Synodenteilnehmer im Vatikan Gehör. Die Bischöfe erhielten die Befugnis, unter bestimmten Voraussetzungen Laien als Prediger auch bei Eucharistiefeiern zu beauftragen. Diese Erlaubnis revidierte der Vatikan jedoch im folgenden Jahrzehnt.
Die Würzburger Synode endete am 23. November 1975. Die Beteiligten hatten 18 Beschlüsse gefasst. Darunter befanden sich wegweisende Dokumente über eine zeitgemäße Gestaltung des Religionsunterrichts und der kirchlichen Jugendarbeit sowie über die Mitarbeit von Laien in Räten. Allerdings nahm das Interesse an der Würzburger Synode schon in den folgenden Jahren ab. Das belegt die sinkende Zahl der Veröffentlichungen, die sich mit der Synode befassten.
Wieder vermehrt ins Gespräch kam die Würzburger Synode 2019, als Deutsche Bischofskonferenz (DBK) und Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) einen Synodalen Weg für die Kirche in Deutschland begannen. Den Anstoß dazu gegeben hatten die Ergebnisse einer 2018 veröffentlichten Studie über sexualisierte Gewalt in der Kirche.
Jahrzehnte später wieder im Gespräch
Bei den bis 2023 dauernden Versammlungen des Synodalen Wegs diskutierten die Delegierten Themen, die bereits die Synode beschäftigt hatten: eine Stärkung der Position von Laien in der Kirche, der Ruf nach der Weihe von Diakoninnen sowie nach einer Reform der Morallehre. Domkapitular em. Gabel bedauert es im Rückblick, dass die Kirche erst heute wieder ernsthaft die Fäden der Würzburger Synode aufnimmt: „Ich hätte damals gedacht, dass diese Themen entschlossener weiterverfolgt werden.“ Diese Chance sei nicht genutzt worden. Resonanz in höheren Kirchenkreisen fänden die damaligen Forderungen erst heute wieder. Trotzdem hat Gabel die Synode als gelungenes Projekt in Erinnerung behalten. „Ich bin dankbar dafür, dass ich die Synode damals miterlebt habe. Das hat mich geprägt, bis heute“, unterstreicht er.
Ulrich Bausewein
„Unsere Hoffnung“ hat Geschichte geschrieben
Für die Würzburger Synode verfasste der Fundamentaltheologe Johann Baptist Metz einen Text, den viele kirchlich interessierte Zeitgenossen als bahnbrechend empfanden: „Unsere Hoffnung. Ein Bekenntnis zum Glauben in dieser Zeit“. Die Synodalen billigten den Text bei ihrer letzten Vollversammlung im Kiliansdom fast ohne Änderungen mit 225 Ja- und 26 Nein-Stimmen bei 15 Enthaltungen. Metz forderte innere Beweglichkeit im kirchlichen Leben, damit Christen als lebendige Hoffnungsgemeinschaft in der Welt ihren Glauben bezeugen können. Das Sonntagsblatt vom 7. Dezember 1975 sprach von einem „großen Wurf“ des Theologen. Sein Ideal einer von Gott geschenkten Hoffnung sprenge die Kleinlichkeit dieser Welt auf. 2020 blickte der Kirchenhistoriker Joachim Schmiedl beim theologischen Online-Portal „feinschwarz.net“ zurück: Vielen sei von der Würzburger Synode vor allem das Papier „Unsere Hoffnung“ in Erinnerung geblieben.
Am 26. und 27. September stellt die Würzburger Akademie Domschule das Grunddokument der Gemeinsamen Synode der westdeutschen Bistümer ins Rampenlicht. Bei der Tagung „50 Jahre ‚Unsere Hoffnung‘“ analysieren Experten aus dem In- und Ausland Inhalte des Textes sowie die Umstände seiner Entstehung. Sie ordnen „Unsere Hoffnung“ theologisch, politisch-sozialethisch und geschichtlich ein und fragen nach der Relevanz des Dokuments für die Gegenwart. Die Tagung im Würzburger Burkardushaus beginnt am 26. September um 13.30 Uhr. Für 19 Uhr ist ein öffentliches Abendgespräch geplant. Thema: „Vom Gestern ins Morgen. Unterwegs zu einer synodal verfassten und hoffenden Kirche“. Als Gäste geladen sind der Luxemburger Kardinal Jean-Claude Hollerich, die Theologen Margit Eckholt und Norbert Mette sowie der Philosoph Otto Kallscheuer.
Anmeldung und Kontakt: Akademie Domschule, Am Bruderhof 1, 97070 Würzburg; Telefon 0931 386-43111; E-Mail info@domschule-wuerzburg.de.