Jene „Überlebenskünstler“ sind auch die Hauptakteure in dem Ge mälde des Würzburger Malers Wolfgang Lenz. Titel des Bildes: „Würzburger Totentanz“ (Foto rechts). Der gebürtige Würzburger malt es 1969/70 als 44-Jähriger eigens für die Ausstellung in der Städtischen Galerie zum 25. Jahrestag der Würzburger Kriegszerstörung. Der damalige Oberbürgermeister Dr. Klaus Zeidler ist vom „Totentanz“ beeindruckt; er beauftragt den Leiter der Galerie, Dr. Hanswernfried Muth, das Bild für die Städtischen Sammlungen zu erwerben.
Wolfgang Lenz und der
Würzburger Totentanz
Muth kennt den Kunstmaler bereits seit längerem, seine altermeisterliche Technik, seine Könnerschaft im Stile des Phantastischen Realismus ebenso wie seine Vorliebe für das Thema „Vergänglichkeit des menschlichen Lebens“. Im „Würzburger Totentanz“ spürt der Kunsthistoriker die vom Maler beabsichtigte Tiefgründigkeit dieser Vision von Untergang, Zerstörung und Tod ganz deutlich. Er bescheinigt dem Maler Wolfgang Lenz gar eine geistige Nähe zu Bildern eines Caspar David Friedrich – ein Maler, den Lenz von allen Romantikern besonders schätzt. Mit Friedrich, so schreibt Muth einmal über den Würzburger Künstler, könnte Lenz auf die dem Maler Friedrich oft gestellte Frage, warum er zum Gegenstand der Malerei so oft die Themen Tod, Vergänglichkeit oder Grab gewählt hat, antworten: „Um ewig einst zu leben, muß man sich oft dem Tod ergeben“ (Caspar David Friedrich).
Beim „Würzburger Totentanz“ tritt noch eine weitere Vorliebe des Malers zutage, die des Theatralikers. In monumental-barocker Manier weiß der gebürtige Würzburger das Thema von Tod und Vergänglichkeit meisterhaft zu inszenieren. Die tänzelnden, in prächtige Gewänder gekleideten Heiligenfiguren erinnern an die „Totenskelette, wie sie in gläsernen Sarkophagen barocker Kirchen zur Schau gestellt werden“ (Muth).
Barocke Inszenierung von Tod und Vergänglichkeit
Überdimensioniert stehen sie im Verhältnis zur Brückenbreite auf ihren Postamenten; sie fordern den Betrachter geradezu auf, die enge „Triumphgasse“ hindurch, hinüber zu Tod und Zerstörung zu schreiten. Der Maler drängt dem Betrachter das Ur-Thema des Lebens, „Endlichkeit jeglichen menschliches Seins“ geradezu auf. Der „Würzburger Totentanz“ von Wolfgang Lenz steht damit in der Tradition der so genannten Vanitas-Bilder (Vanitas kommt aus dem Lateinischen und heißt „leerer Schein“, „Eitelkeit“). Sie stellen symbolhaft den Tod dar als Mahnung vor Sinneslust, Eitelkeit und dem Streben nach vergänglichen irdischen Gütern.
Einen Lenz für zwei Heckel
Wohlmöglich wäre dieses bedeutende Bild 20 Jahre nach seinem Ankauf für immer im Depot der Städtischen Galerie verschwunden, wenn es nicht Dr. Hanswernfried Muth im Jahre 1990 – Muth ist da bereits Direktor des Mainfränkischen Museums und nicht mehr Leiter der Städtischen Galerie – für seine Stadtgeschichtliche Sammlung im Fürstenbau erworben hätte. Er bietet zwei Tuschzeichnungen des Expressionisten Erich Heckel aus dem Besitz seines Museums und bekommt dafür im Tausch den „Totentanz“. „Eine richtige Entscheidung“, wie Muth auch heute noch meint. Für ihn ist das Bild auch 35 Jahre nach seiner Entstehung neben dem Ehrenmal der Stadt Würzburg für die Toten des 16. März 1945 beim Eingang zum Würzburger Hauptfriedhof – geschaffen vom fränkischen Bildhauer Fried Heuler (1889 bis 1955) – „das“ Denk-Mal schlechthin an das Inferno vom 16. März 1945.
Lenz feiert 80. Geburtstag
Dass der Kunstmaler Wolfgang Lenz am 17. März, einen Tag nach dem 60. Jahrestag, sein 80. Lebensjahr vollendet, sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Wer aber den noch 79-Jährigen kennt, weiß, dass er nur ungern über sich und seine Kunst große Worte verliert. Man soll seine Bilder betrachten. Seine Bilder erklärten sich in aller Regel von selbst, gibt er den Fragenden zu verstehen – womit er nicht so unrecht hat. Vor allem jene Bilder, die den Abend des 16. März 1945 zum Thema haben, sind auch ohne Titel lesbar. Das gilt für den „Würzburger Totentanz“ ebenso wie für den Zyklus von insgesamt sechs „Feuerbildern“, entstanden in den Jahren 1984/85 aus Anlass des 40. Jahrestages der Zerstörung.
Nur: Zeit sollte man sich lassen beim Betrachten jedes einzelnen Kunstwerks dieses Zyklus. Ein flüchtiger Blick genügt nicht. Gerade in den zahlreichen Nebenschauplätzen zeigt sich Lenz als sensibler Erzähler und großer Bilderfinder, Merkmale, die ihm schon gegen Ende der sechziger Jahren weit über die Grenzen seiner Heimatstadt einen guten Namen eingebracht haben. Die Bilder, ganz in seinem persönlichen Stil des Phantastischen Realismus gemalt, stellen Traumbilder dar, Phantastereien. Der Betrachter reibt sich verwirrt die Augen und fragt sich, was Wirklichkeit, und was der Phantasie des Malers entsprungen ist. Lenz weckt starke Gefühle beim Betrachter. Er bezieht ihn unmittelbar ins Geschehen mit ein, macht ihn zum Zeugen des Unfassbaren. „Wider des Vergessens“ könnte der Zyklus betitelt werden.
Und die Farbe der Bilder erst – als ob der Künstler sie mit Feuer gemalt hätte. Lenz erlebt den
16. März 1945 in Würzburg nicht selbst mit, da ist er 19 Jahre und als Soldat noch im Einsatz. Die Erzählungen Überlebender des Infernos jedoch – beipielsweise die authentischen Tagebuchaufzeichnungen des Domkaplans Fritz Bauer – haben ihn wohl zu diesem „Feuerwerk“ der unterschiedlichsten Rot- und Gelbtöne mitbeeinflusst.
„Zauberhaftes Licht ...“
Von einem Feuer, das „alles in ein zauberhaftes, rotflackerndes Licht getaucht hat“, spricht Domkaplan Bauer in seinen 1985 veröffentlichten Schilderungen der Kriegsnacht. An anderer Stelle schreibt er: „Goldenroter Schein leuchtet uns entgegen. Ein herrliches Licht, wäre sein Ursprung nicht so grässlich.“ Und während der junge Kaplan durch das brennende Würzburg irrt, sieht er die Häuser, die keine Dächer mehr haben und keine Zwischendecken. „Nur die Außenmauern stehen, und gleichen riesigen Öfen, in denen ein unheimliches Feuer brennt. Es knistert, kracht und birst in einem fort ....“ – „Funken fallen sanft herab, gleichen Schnneflocken von Feuer.“ Oder: „Aus der Hofstraße jagt eine glühende Schlange auf den Platz. Pfeilschnell schießt ein Funkenstrom, der fast bis an die Hüften reicht, über den Boden, getrieben von einem rasenden Wind ...“ Wolfgang Lenz hat diese dramatischen Momente, die Kaplan Bauer und weitere Zeitzeugen geschildert haben, mit Hilfe seiner phantastischen Bilderfindungen eine überwirkliche Dimension gegeben.
Im Juli 1945, vier Monate nach dem Inferno, kehrt Kriegsteilnehmer Lenz nach Franken in sein von Bomben verschont gebliebenes Elternhaus nach Heidingsfeld zurück. Kaum, dass die Straßen der Stadt vom Schutt freigeräumt sind – an zentralen Stellen türmen sich aber immer noch die Reste einstiger Pracht zu riesigen Bergen – unternimmt der junge Lenz seine künstlerischen Streifzüge durch die Stadt. Ausgerüstet mit Zeichenblock, Stiften und Farben, fängt der 21-Jährige in Skizzen das Pitoreske der Ruinen ein.
Ruinen üben ihren ganz eigenen Reiz aus
Dass ihn die Ruinen nicht abschrecken, eher faszinieren, wie er unumwunden zugibt, erscheint auf den ersten Blick befremdlich. Ist es im Grunde nicht. Maler sehen in der Ruine vor allem die künstlerische Herausforderung – mit ihren überraschenden Ein-, Durch- und Ausblicken. Ruinen erzählen detailreich von einstiger Größe, gleichzeitig sind sie ein Memento für die Vergänglichkeit alles Irdischen.
Der Göttinger Soziologe Hartmut Böhme sagt in seinem Aufsatz über die „Ästhetik der Ruinen“: „In Gesellschaften, in denen es eines Bewusstseins von Ruinen mangelt, gibt es keine Historie; es sind gewissermaßen ‚vorbewusste‘, ‚geschichtslose‘ Gesellschaften. Oder an anderer Stelle: „Der Blick, der ein Trümmerfeld zu einer Ruinenlandschaft synthetisiert, ist der festgehaltene Augenblick zwischen einer unvergangenen Vergangenheit und einer schon gegenwärtigen Zukunft.
Das große Verdienst des Würzburger Kulturpreisträgers von 1977 ist es, dass er es wie kein anderer Künstler vor oder nach ihm verstanden hat, das Thema des kriegszerstörten Würzburgs weg von der der Gattung der topographisch genauen Stadtansicht hin zu einer eigenen künstlerischen Sicht der Dinge geformt zu haben. Und: Seine Bilder haben bis heute nichts von ihrer starken Aussagekraft verloren. Sie sind ein Plädoyer für: Nie wieder Krieg und Zerstörung!
Einen Querschnitt durch das Werk des Malers bietet die große Lenz-Austellung aus Anlass seines 80. Geburtstages in den Räumen der ehemaligen Städtischen Galerie. Sie läuft noch bis zum 28. April und ist außer montags von 11 Uhr bis 18 geöffnet.
Wolfgang Lenz
Leben und Werke
1925 in Würzburg geboren.
1943 bis 1945 Kriegsdienst.
1947 bis 1949 Malerlehre bei Peter Pracher, Würzburg.
1949 bis 1958 Studium an der Kunst-Akademie in München.
1955 Romstipendium und einjähriger Aufenthalt.
1956 Meisterschüler.
1959 bis 1971 Lehrtätigkeit an der Werkkunstschule Würzburg.
Seit 1971 freiberuflich tätig.
1977 Kulturpreis der Stadt Würzburg.
Die wichtigsten Werke neben einem umfangreichen Gemälde-Werk:
Bühnenvorhang für das Hessische Staatstheater Wiesbaden. Würzburger Arbeiten: Ratskeller-Laube. Spiegelsaal der Residenz. Wandgemälde im Ratssaal (Geschichte der Stadt Würzburg).