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    Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt...

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    Petra Müller von der Caritas Würzburg leitet eine Gruppe für Glücksspieler an

    Als alle Illusionen platzten

    Eine Zeit lang vermag man sich in dem Glauben zu wiegen, alles im Griff zu haben. Doch irgendwann platzt die Illusion. Im Falle von Alkohol kann das zum Beispiel dann der Fall sein, wenn die Ehe in die Brüche geht. Oder der Job wackelt. Glücksspieler wachen meist dann auf, wenn die Schulden ins Uferlose wachsen. Suchtfrei zu ­leben, bleibt dennoch schwierig – egal, wovon man abhängig ist. In der „Spielergruppe“ der Würzburger Caritas helfen Glücksspieler einander, abstinent zu bleiben.

    Therapeutin Petra Müller, die in den vergangenen Jahren ein fundiertes Wissen zum Thema „Glücksspielsucht“ erworben hat, leitet die Gruppe an. Als unterfränkische Pionierin begann sie im Herbst 2008, eine erste Fachberatungsstelle für Glücksspieler bei der Caritas in Würzburg aufzubauen. Seit elf Jahren haben ihre Klienten die Möglichkeit, an einer „Spielgruppe“ teilzunehmen. Die findet jeden Donnerstag  statt, auch in Corona-Zeiten. Ausreichend große Räume fanden sich bei den Rita-Schwestern. Heute sind neun Männer gekommen. Mit Mundschutz und im weiten Abstand von zwei Meter sitzen sie im Stuhlkreis zusammen.

    Keine Gedanken mehr ans Zocken

    Bei einigen ist es schon ziemlich lange her, dass sie das letzte Mal gezockt haben. Andere sind erst seit kurzer Zeit clean. „Ich spiele seit eineinhalb Jahren nicht mehr“, berichtet Olaf (Name aller Spiele geändert). Olaf hatte einst exzessiv an Automaten gespielt. Das wollte er irgendwann nicht mehr. Um seine Abhängigkeit zu überwinden, ging er drei Monate lang auf Reha: „Bis letztes Jahr im Frühling.“ Das hat geholfen: Olaf verschwendet heute keinen Gedanken mehr ans Zocken. Auch durch die Corona-Pandemie, die in den letzten Monaten häufig zu Rückfällen bei Suchtkranken führte, hat sich dies nicht geändert. Olaf ist nicht zum ersten Mal in der Gruppe: Oft nimmt er teil, denn die Treffen helfen ihm, spielfrei zu bleiben. Neben ihm sitzt, in gebührendem Abstand, Alex, der inzwischen zu den Urgesteinen der Gruppe zählt. Alex ist 57 und hat eine lange, leidvolle Spielerkarriere hinter sich. Anfangs ging er in Spielcasinos, später wurde er von Sportwetten abhängig. „Ich war ganz tief unten, tiefer als die meisten von euch“, sagt er. Sein übermächtiger Spieldrang führte dazu, dass Alex krumme Dinger drehte, um zu Geld zu kommen. Viel fremdes Geld eignete er sich an. Die Sache flog auf. Alex landete für mehr als zwei Jahre im Knast. Das war eine traumatische Erfahrung für ihn gewesen.

    Völliges Unverständnis

    Sucht wird nach wie vor fälschlich als Willensschwäche interpretiert. Im Falle von Alkohol hat sich das inzwischen ein bisschen gebessert: Immer mehr Menschen verstehen, dass Alkoholismus eine Krankheit ist. In puncto Glücksspielsucht ist die Gesellschaft noch nicht so weit. Eben dieses mangelnde Verständnis macht Glücksspielern das Leben schwer. „Zu erklären, warum man einfach nicht vom PC oder vom Handy loskommt, das ist in vielen Fällen völlig aussichtslos“, berichtet der 34-jährige Michael. Denn es mangelt eklatant an Einsicht. Die deplatzierte Bemerkung: „Hör doch einfach auf!“ gehört noch zu den harmlosesten Reaktionen. Tja, wenn das so „einfach“ wäre! Michael erlebte jedoch noch viel Krasseres. Seine eigenen Eltern, berichtet er, hatten mit seiner Sucht überhaupt nicht umgehen können: „Als ich die Bombe platzen ließ und sagte, was mir mit los ist, hieß es, man wolle mich nicht mehr sehen und ich dürfe mein Elternhaus nie mehr betreten.“ Was Michael in einen Abgrund von Verzweiflung stürzen ließ. Letztlich hatte er Glück: „Mein Vater begann, nachzudenken, und hat sich nach einer Woche bei mir entschuldigt.“ Er hatte verstanden, dass sein Sohn krank war. Und dringend Hilfe brauchte.

    Am Anfang juckt das Geld, das es zu gewinnen gibt, berichtet Johannes. Bei ihm fing das Verhängnis an jenem Tag des Jahres 2015 an, als Freunde ihm erzählten, sie hätten in der Spielhalle 500 Euro gewonnen. Jetzt wollten sie ihr Glück noch einmal versuchen: „Sie fragten mich, ob ich nicht Lust hätte, mitzukommen.“ Johannes hatte gerade 50 Euro einstecken. Und dachte sich: „Ich versuch‘s auch mal.“ Dieser Abend hatte ihn verändert. Immer öfter zog es den heute 27-Jährigen in die Spielhalle: „Am Anfang hatte ich die Sache noch unter Kontrolle, doch dann ist alles immer intensiver und immer mehr geworden.“ Oft hatte er in den ersten Tagen des Monats sein ganzes Geld verspielt.

    Ein kleines bisschen Glück

    Egal, ob einer ins Casino geht, ob die Automaten in der Spielhalle locken oder ob ein Mensch im Bann von Sportwetten steht: Irgendwann geht es nicht mehr in erster Linie ums Gewinnen. Süchtige beginnen, um des Spielens willen zu spielen. „Ich floh dadurch aus der Realität“, schildert Michael. Denn diese Realität war zu jener Zeit für ihn äußerst stressig gewesen: „Unter anderem, weil es zur Trennung von einer Freundin kam, mit der ich länger zusammen war.“ Das habe ihn damals „total runtergezogen“. Johannes tigerte in die Spielhalle und setzte sich vor die Automaten. „Und hoffe, dort ein bisschen Glück zu erfahren.“ Manche Spieler sind so schwer krank, dass sie wochenlang in eine Klinik gehen müssen, um von ihrer Sucht loszukommen. Andere schaffen es mit Hilfe einer ambulanten Unterstützung, spielfrei zu werden. Petra Müllers Spielergruppe empfinden alle als ungemein hilfreich. „Ich weiß, dass ich jederzeit jemanden von der Gruppe anrufen könnte, wenn was sein sollte“, sagt Michael, der das Spielen vor fast sieben Jahren aufgegeben hat und seit 2014 an der Gruppe teilnimmt.

    Schicksalsgenossen raten die Gruppenmitglieder, etwas zu unternehmen, bevor es zu spät ist. Mindestens so wichtig ist ihnen, darauf hinzuwirken, dass politisch vehementer gegen Glücksspiele vorgegangen wird. Dafür setzt sich vor allem Karl ein. Karl, der aus Main-Spessart stammt, beschloss mit anderen „sauberen“ Glücksspielern aus Bayern vor zwei Jahren, einen „Betroffenenbeirat“ der Landesstelle für Glücksspielsucht zu gründen. Der Beirat setzt sich für eine Stärkung des Spieler- und Jugendschutzes ein und will der Glücksspielsucht entgegenwirken. Glücksspielsucht, so die Beiratsmitglieder, ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem.

    Vater Staat verdient immer mit

    Im Fernsehen, in der Lokalpresse und im Radio müsste viel mehr über pathologische Glücksspielsucht berichtet werde, wünscht sich Michael. Werbung für Sportwetten gehört nach seiner Ansicht verboten. Karl, der neben ihm sitzt, nickt. Das würde er sich auch wünschen. Gleichzeitig weiß er aber auch, warum so wenig geschieht: „Der Staat verdient eine ganze Menge durch Glücksspiele.“ Angesichts des riesigen Leids, das die Betroffenen erfahren, ist das in seinen Augen ein absoluter Skandal. Auch Karl, der seit gut vier Jahren spielfrei ist, hat durch seine Sucht eine Menge Leid erfahren.

    Wie wichtig eine frühere Prävention wäre, kann man daran ablesen, dass viele Glücksspieler erhebliche Schulden anhäufen, bevor sie in eine Beratungsstelle kommen. Laut der Landesstelle Glücksspielsucht (LSG) hat fast jeder zehnte Ratsuchende mehr als 50 000 Euro Schulden. Über 70 Prozent aller Spieler häufen Schulden an. In jedem vierten Fall sind Kinder von der Spielsucht mitbetroffen. In den 22 Fachberatungsstellen der LSG, zu denen auch die Würzburger Einrichtung gehört, werden jedes Jahr rund 1.500 Männer und Frauen beraten. Die meisten spielen in Spielhallen an Automaten. Wobei der Anteil jener, die Sportwetten frönen, sukzessive steigt.

    Die meisten Betroffenen martern sich mit Vorwürfen wegen der Folgen ihrer Spielsucht. Viele geraten in schwere soziale und psychische Krisen. Es kann zu psychosomatischen Erkrankungen und nicht selten sogar dazu kommen, dass die Betroffenen versuchen, sich das Leben zu nehmen. In einer Untersuchung bejahten über 58 Prozent der befragten Glücksspieler die Aussage: „Ich habe wegen meines Spielens Suizidgedanken gehabt.“         

    Pat Christ