In der Aula jeder DDR-Schule gab es einen „Symbolikplatz der Pionierfreundschaft“. Dort waren Wimpel, Fanfaren, Trommeln, das Ehrenbuch der Pionierfreundschaft und natürlich ein Bild des Vorzeige-Kommunisten Ernst Thälmann drapiert. Das sah aus wie ein Altar, kein Wunder, es ging ja auch um die Verehrung eines Staatsheiligen sowie kultischer Gegenstände. Die Schule sollte ein Ort des Lernens sein, gerade in der DDR legte man Wert auf knallharte Spitzenleistung. Doch fast noch wichtiger war die Gesinnung, der „klare Klassenstandpunkt“. Die Schule bildete mit den sozialistischen Kinder- und Jugendorganisationen „Pioniere“ und „Freie Deutsche Jugend (FDJ)“ eine Einheit.
Den Lehrern kam die Aufgabe zu, auch diese Organisationen zu betreuen. Nach einer Broschüre des Zentralrats der FDJ, Abteilung Schuljugend, waren das zum Beispiel 1978/79 sage und schreibe 90 Veranstaltungen – von der Eröffnung des Schuljahres mit einem FDJ- und Pionierappell bis zum Jahrestag der Ermordung Thälmanns im August.
Klassenstandpunkt
Für die Lehrer bedeutete die sozialistische Kinder- und Jugendarbeit natürlich eine erhebliche Zusatzbelastung, die sie von ihren eigentlichen Aufgaben abhielt. Der Lehrplan von 1972 definierte die ideologischen Aufgaben so: „Der Lehrer erzieht die Schüler zu Verhaltensweisen, wie sie der Moral der Arbeiterklasse entsprechen. Er hält sie dazu an, klare Standpunkte zu beziehen, sich mit feindlichen und fehlerhaften Argumenten auseinanderzusetzen und im Unterricht, in der Pionier- und FDJ-Organisation, in Situationen des täglichen Lebens diesem Standpunkt entsprechend parteilich zu handeln.“ – Gefordert waren also nicht Objektivität und Vernunft, sondern „Parteilichkeit“. Ein 300-stündiges „Studium der revolutionären Theorie“ bereitete die künftigen Lehrer auf diese Aufgaben vor.
Ehrensache
Für die männlichen Lehrer sollte es „Ehrensache“ sein, zuvor als Soldat auf Zeit zu dienen, und zwar „über die gesetzliche Wehrpflicht hinaus“. – Erzwungene Freiwilligkeit. In den 1970er Jahren kam es in der Politik zu allgemeinen Entspannungsbemühungen. Nicht aber in der Schule. Hier hat man den ideologischen Druck massiv verstärkt. Die Staatsideologie war wesentlicher Bestandteil aller Fächer. In Schulfibeln für das erste Schuljahr kam es nahezu zu einer Verdoppelung ideologischer Themen.
Mehr und mehr rückte das Militär als Instrument der Friedenssicherung und des Schutzes gegen den Klassenfeind in den Vordergrund. Schule und Militär In „Unsere Fibel“ von 1986 steht: „Die Soldaten unserer NVA (Nationalen Volksarmee. Die Red.) schützen gemeinsam mit den Soldaten der anderen sozialistischen Länder den Frieden. Sie üben mit den gleichen Waffen und lernen voneinander. Sie sind Waffenbrüder. Die besten Schützen werden ausgezeichnet. Alle freuen sich darüber. Sie feiern gemeinsam, sie singen, tanzen und musizieren.“
Geographie und Geschichte sollten vor allem die Liebe zum sozialistischen Vaterland und die Freundschaft mit der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern stärken.
1978 führte die Staatsführung Wehrkunde als Pflichtfach für die Klassen 9 und 10 ein. Mit dem Wehrdienstgesetz von 1982 wurde die Vorbereitung auf den Wehrdienst obligater Bestandteil von Bildung und Erziehung. Die Jugendlichen sollten auf die Verteidigung des „sozialistischen Vaterlandes“ vorbereitet werden. Dazu gehörte auch Wehrsport mit Disziplinen wie Handgranatenwurf und Luftgewehrschießen. Der selbsternannte antifaschistische Staat bediente sich der Methoden des Faschismus. Auch in den schulischen Liederbüchern ging es immer um ein Vaterland, das bedroht ist und geschützt werden muss. Zahlreiche Lieder betonen den Frieden, der mit Waffengewalt gesichert werden muss. Und sie werben um Sympathie für die NVA-Soldaten – mit Texten, die mit offenen Drohungen an ganz andere Zeiten erinnern: „Wer unsern Frieden stört, der wird die Waffen spüren, die uns zum Siege führen.“
Gift aus dem Westen
Bemerkenswert ist die Begründung des Mauerbaus. Im Lehrbuch Heimatkunde für die vierte Klasse von 1987 steht: „Den Feinden unserer Republik war jedes Mittel recht, um den Aufbau eines neuen Lebens in unserem Lande zu verhindern: Bauernhöfe wurden in Brand gesteckt, um wertvolles Erntegut zu vernichten und die Ernährung der Bevölkerung zu gefährden. Im Jahre 1955 erkrankten in unserer Republik etwa 5000 Rinder; eine BRD-Firma hatte vergiftete Erntebindfäden geliefert.“
Man war sich sicher: „Die Imperialisten haben unserer Republik großen Schaden zugefügt. Ihr Ziel, unseren sozialistischen Aufbau zu verhindern, haben sie aber nie erreicht.“ Und weiter: Zu den gemeinsten Verbrechen, die „von westdeutschen Regierungen geduldet werden, gehört der Mord an Volkspolizisten und Soldaten unserer Grenztruppen. 1961 wollten die Imperialisten der BRD ihr Ziel mit Gewalt erreichen. Das friedliche Aufbauwerk unserer Bürger wurde immer mehr bedroht. Westberlin wurde zu einem gefährlichen Herd der Unruhe.
Imperialisten und Großgrundbesitzer wollten wieder an die Macht.“ Polemik, die mit der Realität nichts zu tun hatte, für eigenes Versagen brauchte man Sündenböcke. In Wahrheit wollte man die Bürger daran hindern, ihr Leben selbst zu bestimmen. Mit Wandbildern, Schulbüchern und Gegenständen erlaubt die Sonderausstellung Einblicke in das Bildungssystem einer Diktatur und zeigt die vielfältigen Möglichkeiten politischer Indoktrination – 30 Jahre nach dem Mauerfall eine bemerkenswerte Rückschau.
Eduard Stenger/jes
Information
Die Sonderausstellung im Schulmuseum in Lohr-Sendelbach ist bis 3. Oktober 2020 Mittwoch bis Sonntag und feiertags von 14 bis 16 Uhr geöffnet. Eintritt 1,50 Euro,ermäßigt 1 Euro. Internet: „www.lohr.de/schulmuseum“.