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      Die Ländliche Familienberatung hilft Landwirten in äußerst schwierigen Zeiten

      Alles andere als romantisch

      Was immer wir mögen, können wir kaufen, Esswaren sind rund um die Uhr verfügbar – und spottbillig. Entsprechend gering werden Lebensmittel geschätzt. „Meine Oma sagt immer, den Leuten fehlt die Erfahrung vom Krieg“, meint Christoph Rothhaupt. Der 37-Jährige gehört zu jenen Menschen, die Nahrungsmittel produzieren: Er ist Landwirt in Lebenhan in der Rhön. Durch Bauern-Bashing, Preisverfall und immense Bürokratie wird der Job immer stressiger. Bei Christoph Rothhaupt führte das sukzessive in den Burnout.

      Bilder im Kopf können der Lebenswirklichkeit diametral entgegengesetzt sein. Das entdeckt man immer wieder. Für Rothhaupt gilt das nicht zuletzt für den Beruf des Landwirts: „Den stellt man sich oft so romantisch vor, doch mit Romantik hat das absolut nichts mehr zu tun.“ Carola Müller-Arnold, die ihm gegenübersitzt, nickt. Auch sie ist Landwirtin. Und sie weiß, welch hartes Geschäft es dieser Tage bedeutet, als Bauer zu überleben. Weil die Not so groß ist, beschloss die 49-Jährige, sich für ihre Kollegen zu engagieren: „Ich ließ mich 2015 zur Ländlichen Familienberaterin ausbilden.“ In dieser Funktion traf sie vor zwei Jahren Christoph Rothhaupt. Als der total am Ende war.

      20 Stunden am Tag

      Nicht-Landwirten sind die vielen Facetten des bäuerlichen Jobs kaum begreifbar zu machen. „Was, ein Bauer hat Stress?“, heißt es „draußen“ ungläubig. Wie das denn? Erzähl doch mal! Und Rothhaupt erzählt. Davon, dass bis vor kurzem so oft in der Nacht der Melkroboter piepte. Er sich aus dem Bett wand. Zum Stall schleppte. Nachguckte. Dann ging’s noch mal kurz in die Federn. Ab 6 Uhr war reguläre Stallarbeit angesagt. Unter größte Anspannung geriet er immer, wenn was mit den Milchkühen los war. Das kam öfter vor: „Einmal waren die Euter entzündet.“ Nach der Stallarbeit ging es auf den Hof. Danach aufs Feld: „Ist Ernte, sind wir manchmal 20 Stunden am Tag im Einsatz.“

      Rothhaupt, lange Jahre ein überzeugter Christ, war vor drei Jahren wegen permanenter Arbeitsüberlastung, ständigen finanziellen Sorgen und Schicksalsschlägen derart fertig, dass er sogar anfing, „an dem da oben“ zu zweifeln: „Warum ständig ich?“ Die ganze Misere hatte vor vielen Jahren völlig harmlos begonnen. Sein Vater musste sich einer OP am Bein unterziehen: „Dabei holte er sich Krankenhauskeime.“ In den nächsten Jahren folgten mehrere Operationen am Herzen. Dem Vater ging es immer schlechter. Oft war Christoph Rothhaupt nachts bei ihm. 2013 ist der Vater gestorben. Und plötzlich lastete der gesamte Hof auf den Schultern des Ältesten.

      Die Nummer auf dem Tisch

      Dem Glücksfall, dass er auf die Familienberatung stieß, hat es Rothhaupt zu verdanken, dass es ihm heute sehr viel besser geht. Auf den Gedanken, die Einrichtung der Katholischen Landjugend- und Landvolkbewegung in der Diözese zu kontaktieren, hatte ihn seine Frau gebracht. Lange lag die Nummer auf dem Tisch, ohne dass sich Christoph Rothhaupt rührte. Das tat er erst auf dem allertiefsten Punkt: „Ich bin im Stall zusammengebrochen.“ Irgendwann rappelte er sich hoch, ging ins Haus, griff sich den Zettel, wählte die Nummer. Hatte sofort Kontakt – und konnte kurz darauf nach Würzburg fahren, wo er Carola Müller-Arnold zum ersten Mal traf.

      Rothhaupt erkannte durch die Beratung, dass er nicht auf Biegen und Brechen in die Fußstapfen seines Vaters treten konnte. Als der in seinem Alter war, da war Landwirtschaft noch einen Ticken besser gewesen. Und schließlich hatte der Vater ihn, den Sohn, gehabt. Nach seinem Tod war Rothhaupt alleine. Die Gespräche halfen ihm, sich einen neuen Lebensentwurf zu überlegen. Die 70 Milchkühe, die ihn jeden Tag und oft auch nachts auf Trab gehalten hatten, gab er auf. Er suchte sich einen Halbtagsjob. Wurde Nebenerwerbslandwirt. Und begann, sich inhaltlich völlig neu auszurichten: „Ab nächstes Jahr werde ich Biolandwirt sein.“ Aktuell läuft die Umstellungsphase.

      Familienberater reden ihren Klienten nicht in ihre Angelegenheiten herein. Sie hören zu. Und geben Anstöße. Diese Anstöße waren für Rothhaupt entscheidend. Mehr noch: Lebensrettend. „Wollen Sie nicht einmal Ihrem Hausarzt erzählen, wie schlecht es Ihnen geht?“, hatte Carola Müller-Arnold ihren Klienten gleich beim ersten Gespräch gefragt. Rothhaupt beherzigte den Tipp. Er ging zum Arzt. Und plötzlich hatte das, was ihn nun schon so viele Jahre gequält hatte, was ihn seit Monaten nicht mehr schlafen ließ und weshalb er so mager war wie nie zuvor, einen Namen: Depression. Tabletten und eine psychotherapeutische Begleitung holten den Landwirt aus seinem tiefen Loch.

      Die alten Ängste

      Nach wie vor kann Rothhaupt seine Sorgen nicht immer einfach abschütteln. Es gibt noch Momente, in denen er plötzlich jeden Halt verliert. Das war neulich erst wieder so. Da kam ein Brief vom Amt. Es ging um Ausgleichszahlungen. Und hohe Rückzahlungsforderungen. Solche Drohungen können ihn für Augenblicke immer noch paralysieren. Mit einem Schlag sind alle alten Ängste wieder da: Dass es finanziell gar nicht mehr weitergeht. Dass der Hof nicht mehr gehalten werden kann. Dass Oma, Mutter, Frau, die beiden kleinen Kinder und der Bruder auf der Straße stehen. Durch seine Schuld. Durch sein Versagen. Weil er es nicht geschafft hat.

      Durch IT auf dem Hof, Roboter im Stall und autonome Schlepper auf den Feldern soll versucht werden, Landwirten das Leben zu erleichtern: „Digital Farming“ lautet das Schlagwort. Doch die Rechnung jener, die am grünen Tisch landwirtschaftliche Digitalisierungskonzepte austüfteln, geht nicht auf. „Die Rahmenbedingungen in der Landwirtschaft sind einfach sehr schwer“, sagt Wolfgang Scharl, der die Ländliche Familienberatung (LFB) seit ihrer Gründung 1997 leitet. Dass die Situation immer schwieriger wird, lässt sich für Scharl an einer einzigen Zahl ablesen: „Seit es die LFB gibt, hat sich die Zahl der Betriebe in der Diözese Würzburg halbiert.“

      Lebensmittel zu produzieren, scheint eine völlig zweitrangige Sache geworden zu sein. Gesellschaftlich geschätzt wird das kaum mehr, sagt auch Scharl. Dies habe psychologisch eine verheerende Wirkung – zusätzlich zu dem real vorhandenen, wachsenden Stress. Landwirte, sagt Scharl, fühlten sich alleine gelassen. Immer mehr werde verlangt. Mehr Umweltschutz. Mehr Klimaschutz. Mehr Tierschutz: „Und natürlich ist das grundsätzlich auch alles gut.“ Fragt sich: Wer soll für die Kosten aufkommen? Die hohen Investitionen auf all diesen Gebieten, bestätigt Christoph Rothhaupt, können inzwischen schlicht nicht mehr hereingewirtschaftet werden.

      Wenn das Wetter spinnt

      Ein einziger Jahresverlust mag ja noch aufgefangen werden können. Im nächsten oder im übernächsten Jahr. Doch wenn sich Verlust an Verlust reiht, wächst die Verzweiflung. Dass es immer schwerer wird, auskömmlich zu wirtschaften, liegt laut Rothhaupt nicht nur an den miesen Preisen für Agrarerzeugnisse: „Wir spüren auch immer mehr, wie sich das Klima wandelt.“ Wie oft hatten ihm Wetterkapriolen in den letzten Jahren das Leben schwer gemacht! „Sonntags saß ich mit dem Handy da, starrte auf die Wetter-App, kam gar nicht mehr los, weil ich hoffte und hoffte, dass sich das Wetter ändert.“ Und die Ernte eingeholt werden konnte.

      Nie mehr möchte er dieses jahrelange Wechselbad der Gefühle mitmachen. Nie mehr solchen existenziellen Sorgen ausgesetzt sein. Nie mehr so fertig sein mit sich und der Welt. Darum arbeitet Christoph Rothhaupt hart an sich selbst: „Ich werde langsam der, der ich bin.“ Andere aus seiner Branche, sieht er, sind noch nicht so weit. Sie stecken noch tief in der Misere, die ihm, wie Rothhaupt manchmal denkt, vielleicht fast das Leben gekostet hätte. Eben wegen seiner Kollegen hat sich der 37-Jährige entschieden, von sich zu erzählen. Um auf ein riesiges gesellschaftliches Problem aufmerksam zu machen. Und darauf hinzuweisen, dass es Hilfe gibt.     

      Pat Christ

      Info & Kontakt

      In der Ländlichen Familienberatung (LFB) für Landwirtschaft, Weinbau und Gartenbau der Katholischen Landjugend- und Landvolkbewegung in der Diözese Würzburg sind derzeit sieben Frauen und fünf Männer ehrenamtlich engagiert. Im Jahresdurchschnitt werden 30 Familien oder Einzelpersonen beraten. Teilweise sind die Klienten über Jahre hinweg immer wieder mit den Familienberatern in Kontakt. Beraten wird kostenlos und vertraulich bei familiären, persönlichen, betrieblichen oder finanziellen Problemen. Weitere Informationen gibt es bei LFB-Leiter Wolfgang Scharl unter Telefon 0931/386-63725 oder per E-Mail „wolfgang.scharl@bistum-wuerzburg.de“.