Alle Jahre wieder wird nicht nur die Ankunft des Christuskindes im Lied besungen, sondern auch heftig Klage geführt: darüber etwa, dass Schokoladen-Nikoläuse und Lebkuchen schon im September im Supermarkt auftauchen; dass Weihnachtslieder wie „Stille Nacht, heilige Nacht“ schon lange vor dem Fest als Shopping-Hintergrundmusik gespielt werden; dass Weihnachtsmärkte immer öfter schon vor der Adventszeit ihre Pforten öffnen; dass alles in allem das Weihnachtsfest immer mehr kommerzialisiert, verweltlicht, seines eigentlichen Kerns beraubt wird.
So kann man das als Christ sehen und darüber klagen – durchaus mit einer gewissen Berechtigung. Man muss es aber nicht. Man könnte sich nämlich auch Gedanken machen, warum das Geschäft mit Weihnachten so gut funktioniert; welche Wünsche und Sehnsüchte die Wirtschaft mit ihrem Angebot zumindest vordergründig befriedigt.
Da mag es dann nicht mehr nur um Kommerz, Gefühlsduselei oder Glühweinseligkeit gehen, sondern vielleicht um den Wunsch, anderen Wertschätzung, Zuneigung, Liebe auszudrücken, weil es im Alltag oft zu kurz kommt. Da mag es um Sehnsucht nach Geborgenheit gehen, um den tiefsitzenden Wunsch nach einer besseren, einer heilen Welt.
Und damit sind wir beim Kern von Weihnachten: Aus Liebe zu seinem Geschöpf ist Gott selbst Mensch geworden, ist herabgestiegen, hat sich erniedriegt, wie es im kirchlichen Sprachgebrauch heißt. Hat sich verweltlicht, könnte man auch sagen.
Sollte man es als Christ nicht ihm gleichtun? Nicht die Welt von einer (vermeintlich) moralisch höheren christlichen Warte aus kritisieren, sondern auf Augenhöhe mit ihr leben. Wir müssen Gott nicht zu den Menschen bringen; er kommt von selber. Das lehrt Weihnachten.
Unsere Aufgabe als Christen ist es, ihn selbst, die Spuren seines Wirkens in der Welt zu entdecken und anderen sichtbar und erfahrbar zu machen. Und wenn es gut läuft, dann kann man selbst zu einer Spur dieses göttlichen Wirkens werden – ab und zu, immer wieder, alle Jahre wieder ...
Wolfgang Bullin