Hinweis

Ihre Browserversion wird leider nicht mehr unterstüzt. Dies kann dazu führen, dass Webseiten nicht mehr fehlerfrei dargestellt werden und stellt ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Wir empfehlen Ihnen, Ihren Browser zu aktualisieren oder einen der folgenden Browser zu verwenden:

Probeabo des Magazins bestellen

Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt erfahren Sie im Sonntagblatt.

    Alles Wissenswerte rund um Papst Leo XIV. und seine ersten 100 Tage im Amt...

    Mehr

    Ablehnung wäre ein schlimmer Rückschlag

    Die Europäische Union (EU) befindet sich – ein Jahr nach der Osterweiterung – in einer spannenden und entscheidenden Phase. In wichtigen Ländern steht die Ratifizierung der neuen Verfassung an und sorgt für Schlagzeilen. Während in Deutschland die Abstimmung nach der bereits erfolgten Zustimmung im Bundestag auch im Bundesrat problemlos über die Bühne gehen dürfte, ist die Volksabstimmung in Frankreich am 29. Mai noch völlig offen. Immer wieder wird die pessimistische Einstellung vieler Bürger gegenüber der EU auch damit begründet, dass der Inhalt der neuen Verfassung weithin unbekannt ist. Deshalb soll hier ein kurzer Einblick in das Vertragswerk vermittelt werden.

    Die Europäische Union (EU) befindet sich – ein Jahr nach der Osterweiterung – in einer spannenden und entscheidenden Phase. In wichtigen Ländern steht die Ratifizierung der neuen Verfassung an und sorgt für Schlagzeilen. Während in Deutschland die Abstimmung nach der bereits erfolgten Zustimmung im Bundestag auch im Bundesrat problemlos über die Bühne gehen dürfte, ist die Volksabstimmung in Frankreich am 29. Mai noch völlig offen. Immer wieder wird die pessimistische Einstellung vieler Bürger gegenüber der EU auch damit begründet, dass der Inhalt der neuen Verfassung weithin unbekannt ist. Deshalb soll hier ein kurzer Einblick in das Vertragswerk vermittelt werden.


    Entwicklung

    Die EU kann in diesen Tagen auf eine 55jährige Geschichte zurückblicken. Am 9. Mai 1950, dem offiziellen Gründungstag, begann mit dem so genannten Schuman-Plan die Idee eines vereinten Europas Wirklichkeit zu werden. Sechs Länder (Deutschland, Frankreich, Italien und die Benelux-Staaten) schlossen sich zur „Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl“ (EG) zusammen. Später wuchs die EG um weitere Staaten und entwickelte sich auch inhaltlich in immer neuen Verträgen (zum Beispiel Maastricht 1992, Amsterdam 1997, Nizza 2001) zu einer politischen und wirtschaftlichen Einheit. Am 1. Mai 2004 erfolgte mit der Osterweiterung der letzte große Schritt, der Europa ein völlig neues Gesicht gab: 25 Staaten mit 450 Millionen Bürgern brauchen eine neue Verfassung, um sich gut aufgehoben zu fühlen. Ein „Konvent“ unter dem Vorsitz von Giscard d’Estaing wurde mit der Ausarbeitung beauftragt. Vertreter der 15 bisherigen Mitgliedsstaaten und der neuen Beitrittsländer entwickelten in jahrelanger Arbeit einen Vertrag, der am 18. Oktober. 2004 von den Regierungsvertretern feierlich in Rom unterzeichnet wurde. Dieser Vertrag muss jetzt noch bis zum 1. November 2006 von jedem einzelnen Land ratifiziert, das heißt anerkannt werden, entweder durch das Parlament oder durch einen Volksentscheid.
     

    Inhalt

    Der Verfassungstext ist ein sehr umfangreiches Werk mit 448 Artikeln und insgesamt 530 Seiten. Er gliedert sich in vier Teile, angefügt sind noch 36 Protokolle und 50 zusätzliche Erklärungen. Vorangestellt ist eine Präambel, in der es heißt: „Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben …“. Viele Christen bedauern, dass ein ausdrücklicher Bezug auf Gott nicht konsensfähig war.

    Im ersten Teil werden die „Werte und Ziele“ der EU angesprochen. Zunächst werden aus der Präambel die Werte noch einmal wiederholt und als oberste Ziele Frieden und das Wohlergehen der Völker benannt. Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedsländer. Die Bürger und die einzelnen Staaten werden nicht in einem Superstaat vereinnahmt, sondern behalten ihre Eigenständigkeit und Identität. Freilich unterstützen sie sich in vielen Bereichen und geben eigene Zuständigkeiten an die EU ab, entsprechend dem im Vertrag festgelegten Rahmen.
    Die wichtigsten Symbole der EU sind die Flagge (ein Kreis von zwölf Sternen im blauen Feld), die Hymne (Ode an die Freude), der Leitspruch („In Vielfalt geeint“) und der Europatag (9. Mai). Schließlich werden die zentralen Organe der EU – das Parlament, der Europäische Rat und der Ministerrat, die Kommission und der Gerichtshof – vorgestellt und ihr Aufgabenbereich umschrieben. Die qualifizierte Mehrheit bei Abstimmungen wird neu festgelegt: sie liegt bei 55 Prozent des Europäischen Rates mit mindestens 15 Mitgliedern und 65 Prozent der Bevölkerung. Neu ist auch die Verlängerung des Präsidentenamtes auf zwei Jahre und die Einrichtung eines Außenministers der EU. Art. I,52 erwähnt ausdrücklich: Die EU achtet den Status der Kirchen in den einzelnen Ländern „und beeinträchtigt ihn nicht“. Sie führt einen „offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog“ mit den Kirchen und religiösen Vereinigungen.
    In Teil zwei werden noch einmal in einer Präambel und der anschließenden Charta die Grundrechte und die Menschenrechte ausführlich dargestellt. Neben Folter und Sklaverei wird auch das reproduktive Klonen von Menschen verboten sowie jede Art von Diskriminierung. Selbstverständlich wird die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit garantiert. Ausdrücklich wird auf das Recht zum öffentlichen religiösen Bekenntnis in Gottesdiensten, im Religionsunterricht, in Riten und Gebräuchen hingewiesen.
    Im dritten Teil geht es um die „Politikbereiche und Arbeitsweise der EU“. Der Rahmen ist sehr breit angelegt: Alle Bereiche und Zuständigkeiten der politischen Verantwortung werden im Detail geregelt. Da geht es um den Binnenmarkt und die Beschäftigung, um Landwirtschaft, Umwelt, Verbraucherschutz, Verkehr, Forschung, technologische Entwicklung, Asyl- und Einwanderungspolitik, um Grenzkontrollen und die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz, um Bildung, Jugend, Sport ... Schließlich werden die Kompetenzbereiche und die Zusammenarbeit der EU-Gremien festgeschrieben.

    Der vierte Teil enthält „Allgemeine und Schlussbestimmung“. Die früheren EU-Verträge verlieren nach der Ratifizierung der neuen Verfassung ihre Gültigkeit, in Übergangsbestimmungen wird der Weg in die neue EU-Verfassung und ihr Geltungsbereich geregelt. Mit der persönlichen Unterschrift der 25 Regierungschefs und ihrer Außenminister endet der Verfassungstext.

    Bedeutung

    Die neue Verfassung ist für die Identität und das Zusammenwachsen der EU von elementarer Bedeutung. Im Zentrum stehen die Werte und Ziele wie Freiheit, Frieden und Menschenrechte. Sie stellen die Gemeinschaft auf ein Fundament von Grundüberzeugungen und demokratischen Grundwerten, die die Basis eines gerechten und solidarischen Miteinanders in einer Wertegemeinschaft bilden. Erst in zweiter Linie stehen die wirtschaftlichen Interessen und praktischen Regelungen. Auch sie sind wichtig und setzen einen stabilen Rahmen und eine tragfähige Grundlage für eine starke und handlungsfähige Union. Dabei wird die Dezentralisierung und der Einfluss der einzelnen Länder durch ein klares Kontrollrecht der Landesparlamente eher verstärkt.
    Natürlich ist die Verfassung ein Kompromiss und in ihrem unüberschaubaren Umfang nicht sehr bürgernah. Daher resultiert wohl auch die Angst vieler Staaten vor einer Volksabstimmung. Im Detail gibt es natürlich auch Kritik von bestimmten Gruppen. So nahm die Friedensbewegung Anstoß an Art. I,41, wonach die Mitgliedsstaaten sich verpflichten, „ihre militärischen Fähigkeiten zu verbessern“. Eine „Verpflichtung zur Aufrüstung“, so der Vorwurf, ist daraus wohl nicht abzuleiten.
    Wichtig ist jetzt, dass alle Staaten die Verfassung ratifizieren. Eine Ablehnung, etwa in Frankreich, wäre ein schlimmer Rückschlag mit Signalwirkung auf andere Staaten, in denen ebenfalls eine Volksabstimmung stattfindet. Die Politiker müssen alles daran setzen, dass es mit dem Scheitern des Vertrages nicht zu einem irreparablen Bruch in der Entwicklung der EU kommt.